So ist Michel Houellebecqs Roman "Unterwerfung" - die AZ-Kritik

Am Freitag erscheint Michel Houellebecqs neuer Roman "Unterwerfung" auf Deutsch. Von plumper Islamkritik ist das Buch weit entfernt
Robert Braunmüller |
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Am Freitag erscheint Michel Houellebecqs neuer Roman "Unterwerfung" auf Deutsch. Von plumper Islamkritik ist das Buch weit entfernt

Frankreich im Jahr 2022. Der linke Staatspräsident François Hollande hat am Ende seiner zweiten Amtszeit abgewirtschaftet. Marine Le Pen, die Kandidatin des rechtspopulistischen Front National, könnte seine Nachfolgerin werden. Um dies zu verhindern, schließen sich die gemäßigten Rechten und Linken mit der Bruderschaft der Muslime zusammen. In der Stichwahl wird Mohammed Ben Abbes zum neuen Präsidenten gewählt. Und die Islamisierung des Landes beginnt.

Michel Houellebecqs neuer Roman „Unterwerfung“ erscheint am Freitag auf Deutsch. Der böse Bube der französischen Literatur war auf dem letzten Titel der Zeitschrift „Charlie Hebdo“ vor dem Anschlag der Islamisten abgebildet. Houellebecq ist seitdem abgetaucht. Er trauere, so heißt es, um seinen getöteten Freund Bernard Maris, einen der getöteten Mitarbeiter des Magazins.

In Frankreich wird das Buch bereits verkauft. Die linke Zeitung „Libération“ beschuldigt den Schriftsteller, er würde rechtsradikale Positionen hoffähig machen. Auch in Deutschland schätzen Rechte den Autor, seit er den Islam als „dümmste Religion“ überhaupt bezeichnet hat. Die „Tagesschau“ der ARD behauptete sogar, Houellebecq entwerfe in seinem neuen Roman das „Schreckensszenario“ einer islamischen Herrschaft über Frankreich.

Die Rechten als Kollaborateure

Das Gegenteil ist richtig. Und für rechte Islamkritiker dürfte die Lektüre auch kein reines Vergnügen werden. Im Frankreich des muslimischen Präsidenten Abbes blühen der Handel und die mittelständische Wirtschaft, seit die Großindustrie nicht mehr subventioniert wird. Die Arbeitslosigkeit verschwindet, weil die Frauen zu Hause bleiben. Abbes orientiert sich am katholischen Subsidiaritätsprinzip und der päpstlichen Sozial-Enzyklika „Quadragesimo anno“ aus dem Jahr 1931, die auch im Franco-Spanien und im österreichischen Ständestaat hohes Ansehen genoss.

Ein Magister in Romanistik ist bei der Lektüre von „Unterwerfung“ durchaus hilfreich. Hierzulande kaum bekannte konservative Schriftsteller wie Charles Péguy oder René Guénon spielen eine nicht unwesentliche Rolle. Der Ich-Erzähler François hat über Joris-Karl Huysmans promoviert und durchlebt dessen Biografie vom Décadent zum katholischen Mönch ein zweites Mal. Natürlich als Parodie und typische Houellebecq-Figur eines zynischen Akademikers, der die Lehre an einer zweitklassigen Pariser Uni vor allem dazu nutzt, um sich jedes Semester mit weiblichem Frischfleisch zu versorgen.

Die neue Kulturpolitik sorgt für einen kurzen Karriereknick, seine jüdische Freundin verabschiedet sich mit ihrer Familie nach Israel. François erwägt, ins gleiche Kloster einzutreten wie vor ihm der Schriftsteller Huysmans, doch als er einen Rauchmelder in der Zelle entdeckt, überlegt er es sich anders und beginnt bei einer marokkanischen Escort-Dame seine Initiation in den Orient.

Zuletzt wird François zum Protége des neuen Sorbonne-Präsidenten und designierten Außenministers: eines ehemals militanten Rechten, der sich nach dem Übertritt zum Islam von seiner 15-jährigen Zweitfrau im gleichen Stadtpalais verwöhnen lässt, wo der berüchtigte Roman „Die Geschichte der O“ entstanden ist.

Und das erklärt auch den Titel des Buchs: Die freiwillige „Unterwerfung“ des Menschen unter Gott im Islam ist so lustvoll wie die der Frau unter den Mann in der pornografischen Literatur, so der Ich-Erzähler.

Und so erweist sich der Islam in dem Buch als menschenfreundliche und sinnenfreudige Religion: Die mittelmäßigen rechten Intellektuellen genießen als Kollaborateure ein süßes Leben. Der hochgebildete Präsident Abbes betreibt zur Freude der Linken die Aufnahme der alten französischen Mittelmeerkolonien in die EU.

„Unterwerfung“ ist eine Satire, die niemanden ungeschoren lässt

Die neue Vielweiberei kommt den sexuellen Bedürfnissen der Hauptfigur entgegen, das Verschwinden von Miniröcken dämpft seine Begierden. Mit der Hilfe einer Heiratsvermittlerin bekommen auch auf dem erotischen Markt chancenlose Akademiker mit fettigen Haaren ihre Frau. Und weil das Alkoholverbot niemand ernst nimmt, fließen die französischen Weine und Schnäpse weiter in Strömen.

Houellebecqs untragische Satire lässt keinen ungeschoren: den französischen Uni-Betrieb, die opportunistischen Pariser Intellektuellen, den Islam und die Ängste davor. Man wird manches in dieses Buch hineinlesen, aber der Autor hütet sich, über die allgemeine Ironie hinaus Position zu beziehen. Er ist gegen alle. Und weil Houellebecq auch seine Selbstinszenierung als sexsüchtiger Nihilist und antriebsloser Kettenraucher veralbert, ist „Unterwerfung“ ein gelungenes, oft sehr komisches Buch. Auch wenn es einem das Lachen nach dem Anschlägen vom 7. Januar im Hals stecken bleibt.

Michel Houellebecq: „Unterwerfung“ (Dumont, 280 S. 22,99 €)

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