Sich fallen lassen, ins Maßlose!
Seit über 130 Jahren beenden Festspiele die Saison an der Staatsoper. Die Neuinszenierungen von Olivier Messiaens „Saint François d'Assise” (1.7.) und Mozarts „Mitridate, rè di Ponto” (21. 7.) werden umrahmt durch Wiederholungen der Neuinszenierungen der vergangenen Saison und Experimentelles im Pavillon 21 am Marstallplatz.
AZ: Herr Bachler, was macht den Münchner Opern-Juli zum Festspiel?
NIKOLAUS BACHLER: Die Festivals von Salzburg, Aix-en-Provence, Avignon oder Wien sind heute Teil eines internationalen Karussells von Kooperationen. Originäres kann man eher in München erleben. Hier gibt es hauptsächlich Aufführungen, die für diese Stadt und das Nationaltheater erfunden und produziert wurden.
Welchen tieferen Sinn hat es, die Saison noch einmal zusammenzufassen?
Eine Spielzeit-Idee „Unfrei – frei” wird eigentlich erst wirksam bei den Festspielen: Erst in der Rückschau wird deutlich, wie „Rusalka”, „Fidelio”, „L'Enfant et les sortilèges/Der Zwerg” und „I Capuleti e i Montecchi” inhaltlich und dramaturgisch zusammenwirken. Das Repertoire vereint neue mit älteren Theaterhaltungen. Deshalb hat auch ein 40 Jahre alter und jetzt neu einstudierter „Rosenkavalier” bei den Festspielen seinen Platz.
Welche Rolle spielt der Pavillon 21 am Marstallplatz mit dem ewig langen Namen?
Wer finanziert, will auch im Namen vorkommen. Im Pavillon 21 Mini Opera Space soll es weniger operndogmatisch zugehen. Dies ist ein laborhafter Spielort, der verschiedenste Sparten und Ästhetiken angstfrei verbindet.
Wie passt Messiaens Franziskus-Oper zur Idee von „Unfrei – frei”?
Die Frage wird hier nicht, wie in „Fidelio”, in einem gesellschaftlichen oder politischen Zusammenhang gestellt. In Messiaens Oper geht es beispielsweise darum, ob ein Engel Freiheit oder Unfreiheit bringt. Mozarts „Mitridate” stellt das Problem dann noch einmal abschließend in den Zusammenhang von Macht und Familie.
Messiaens Oper inszeniert der Wiener Aktionist Hermann Nitsch. Er ist für viele Leute ein rotes Tuch. Wollen Sie damit bewusst provozieren?
Provokationen passieren im Theater immer aus heiterem Himmel, sie lassen sich nicht vorhersehen. Ich habe bei Martin Kušejs „Rusalka”-Inszenierung alles Mögliche erwartet, nur nicht, dass ein Reh einen kleinen Sturm auslöst.
Warum ist Nitsch der richtige Mann für die 1983 in Paris uraufgeführte Oper über Franz von Assisi?
Entscheidend ist der Begriff Gesamtkunstwerk. Nitsch verbindet die Bildende Kunst mit dem Theater. Auf der anderen Seite ist Messiaens Oper mehr Ritual als Drama. Das Religiöse, das Rituelle, das Verhältnis des Menschen zu den Tieren, das Blut der Stigmata des Heiligen - das sind alles Ur-Themen der künstlerischen Arbeit von Hermann Nitsch.
Sie haben 2005 das Orgien-Mysterientheater Nitschs von Prinzendorf ins Burgtheater geholt.
Es war für Nitsch sehr wichtig, im institutionellen Kultur-Olymp Österreichs sein Werk zu zeigen. Danach wollte er eigentlich nicht mehr inszenieren. Deshalb war es nicht ganz einfach, ihn von dieser Arbeit zu überzeugen. Die Aufführung wird sicherlich die Geister scheiden, aber nicht, weil sie blutig ist.
Messiaens „Saint François” ist auch wegen der Länge und des Aufwands ein richtiges Festspielstück.
Man wird, im Unterschied zu Wagner, nicht durch Dramatik unterhalten. In eine Passage wie der Vogelpredigt, die eine Dreiviertelstunde dauert, muss sich der Zuschauer erst meditativ hineinfallen lassen. Aber es ist ein zentrales Werk der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit einer ganz eigenen Musiksprache, das den Ansatz des Maßlosen in der Kunst besser dokumentiert als andere Opern dieser Zeit.
Und es passt zu München.
Ich will ein Opernprogramm für diese Stadt machen, die mediterran und katholisch ist. Von Süden her drängen Verdi und die anderen Italiener herein. Die zwar nicht katholische, aber rituell-religiöse Seite Wagners gehört hierher. Und natürlich Opern wie Messiaens „Saint François", Poulencs „Dialoge der Karmeliterinnen" oder Pfitzners „Palestrina", die hier ganz anders verstanden werden oder auf Widerstand stoßen wie in Berlin, wo diese spezielle Atmosphäre fehlt.
Infos zu Festspielkarten unter Tel. 21 85 19 20 und www.bayerische.staatsoper.de