Sich durchkämpfen oder verkaufen?

Morgen Premiere: Am Volkstheater inszeniert der 29-jährige Regisseur Simon Solberg zum Saisonstart Goethes „Faust“. Er sieht den Titelhelden als jungen Elite-Forscher von heute.
von  Abendzeitung

Morgen Premiere: Am Volkstheater inszeniert der 29-jährige Regisseur Simon Solberg zum Saisonstart Johann Wolfgang von Goethe „Faust“. Er sieht den Titelhelden als jungen Elite-Forscher von heute.

Beim Festival „Radikal jung“ im Münchner Volkstheater war dieses Jahr auch die Frankfurter Inszenierung „Don Quijote“ von Simon Solberg eingeladen – und erhielt den Kritiker-Preis. Hausherr Christian Stückl, immer auf der Suche nach jungen Regie-Talenten, griff rasch zu. Nun gibt der 29-jährige Solberg, der zwei Jahre Hausregisseur in Mannheim war, sein München-Debüt: Zum Saisonstart im Volkstheater inszeniert er Johann Wolfgang von Goethe „Faust“. Die Titelrolle spielt Jan Viethen, Jean-Luc Bubert ist Mephisto, Barbara Romaner die Grete.

Mit Johann Wolfgang von Goethe hatte Solberg vorher nichts am Hut, auch in der Schule den „Faust“ nicht gelesen. Als er sich jetzt damit beschäftigte, sah er ein: „Früher hatte ich Johann Wolfgang von Goethe in meinem jugendlichen Leichtsinn unterschätzt.“ Aber er geht mit einem radikal jungen Zugriff an das Stück – zumal er auch nur junge Schauspieler hat. „Bei uns ist Faust ein junger Super-Begabter, der in der Quarter-Crisis steckt“, erklärt Solberg. „Er ist an der Weltspitze, in der Forschungselite bei CERN, und fragt sich, was das bis jetzt gebracht hat. Sein Wissen stammt aus Büchern, er hat seine Zeit nur mit Studieren verbracht und vom Leben draußen nicht viel mitbekommen. Außerdem ist er nur dank seines Vaters da, wo er jetzt ist – dem muss er sich auch stellen.“

Wie weit darf man gehen?

Solbergs Faust muss sich dem Heute mit seiner ganzen Informationsflut stellen, auch Mephisto bedient sich heutiger Lockmittel. Faust wird zum Global Player, der sich sein Wissen zu Nutze macht. „Es geht weniger um den Gegensatz Glauben versus Teufel, mehr um reines Gewissen contra Verführung“, sagt der Regisseur. „Die Frage ist: Wieviel Schuld darf man auf sich laden? Wie weit darf man gehen? Geht man verantwortungsbewusst mit seinem Brain um oder nutzt man ihn, um richtig abzusahnen?“

Den Text hat er stark gekürzt und entschlackt, mit gelegentlichen Ausbrüchen in moderne Sprache. Das Personal ist auf sechs Schauspieler, reduziert, die – außer Faust und Mephisto – verschiedene Rollen spielen. Die Geisterbeschwörungen bei Johann Wolfgang von Goethe hat Solberg „entmystifiziert“, weshalb auch Mephistos Erscheinung so konkret wie möglich ist: „Wie eben die Mephistos heute, die uns von den verschiedensten Seiten versuchen zu manipulieren.“

Grete ist Mephistos Gegenspielerin

Fausts Lovestory mit Grete findet Solberg elementar – wie die Liebe überhaupt. „Liebe ist für mich ein Anker im Leben, sie gibt große Kraft, um zu verhindern, dass ein Mephisto über einen Macht bekommt. Grete ist die große Gegenspielerin von Mephisto, sie geht ihm als Einzige über weite Strecken nicht auf den Leim.“ Faust dagegen kann dem Mephisto-Apparat nicht widerstehen, er wird fortgerissen vom eigenen Anspruch.

Darin sieht Solberg die eigentliche Tragödie: „Es ist spannend, was eine mephistophelisch geprägte Welt aus Menschen machen kann. Dass man so einen Super-Intelligenten, der alles weiß, doch verführen kann. Ich sehe das auch in meinem Bekanntenkreis: Verkauft man sich oder versucht man, seine eigene Sache durchzukämpfen und dafür gerade zu stehen? Manchmal kommt man an einen Punkt, wo man sagt: Jetzt denk’ ich nur noch an mich.“

Vom Wahnsinn der Welt

Solberg hat an der Folkwang-Hochschule Schauspiel studiert – als Handwerksgrundlage für sein Wunschziel Regie: „Man kann auch nicht Polier am Bau sein, wenn man keine Ahnung vom Mauern hat.“ Ihn reizt es, Geschichten zu erzählen – über die Notwendigkeit, sich zu stellen und zu verhalten. „Es wird immer schwieriger, sich richtig zu verhalten, wenn man den Wahnsinn der Welt sieht“, meint er. „Man dürfte keine Sportschuhe mehr tragen, da alle in Asien von Kindern gefertigt und dann mit dem Flieger hierher transportiert werden. Wenn alle so leben würden wie wir, würde die ganze Welt zusammenbrechen. Ich möchte gern Geschichten so erzählen, dass sie willkürlichen Managern schlechtes Gewissen und Unterdrückten Mut machen. Wenn man das hinkriegen könnte!“

Gabriella Lorenz

Mehr Infos unter www.muenchner-volkstheater.de und Telefon 089 5234655.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.