Shiyeon Sung dirigiert Ravel und Ligeti
Einer alten Musikerweisheit nach dauert der "Boléro" von Maurice Ravel gefühlt kürzer, wenn er im bedächtigen Tempo, und gefühlt länger, wenn er schnell dirigiert wird. Klingt paradox, ist aber erklärbar: Zieht das populäre Werk eher langsam vorüber, nimmt man die Mechanik der Wiederholungen, mit der es der Komponist so meisterhaft aufgebaut hat, nicht so deutlich wahr.
Die südkoreanische Dirigentin Shiyeon Sung tanzt den "Boléro" mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks flott, ohne Hast, aber sie trödelt auch nicht. Macht sich also nun beim Publikum bleierne Langweile breit, sobald es das Kompositionsprinzip einmal durchschaut hat?
Mediterrane Atmosphäre
Keineswegs. Denn Shiyeon Sung offeriert eine solche Fülle von Details, dass man beim Hören kaum hinterherkommt. Die südkoreanische Dirigentin nimmt es äußerst genau mit der Dynamik: Je länger das BR-Symphonieorchester im aufreizenden Pianissimo verharrt, desto elektrisierender türmt sich die Spannung auf. Die Soli von Fagott, Saxophon und ganz besonders der Posaune sprühen vor swingendem Leichtsinn, es ergibt sich eine luftige, trockene, gleichsam mediterrane Atmosphäre.
Vor dem Soloschlagzeuger Christian Pilz sollte man gleich mehrmals den Hut ziehen: Nicht nur muss er als Einziger den hypnotischen Bolero-Rhythmus durchhalten und dabei Nerven aus Stahl zeigen; phänomenal ist allein, in welchem Pianissimo er die Kleine Trommel schlägt - so kunstvoll leise, dass man ihn auf einem der hinteren Plätze der Isarphilharmonie schon fast nicht mehr hören kann. Da kommt dem Musizieren die Akustik in die Quere.
Solisten aus dem Orchester
Noch zwei weitere eigene Solisten präsentiert das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in diesem schönen, bezugsreichen Programm. Auf einen Konzertmeister wie Anton Barakhovsky, der Ravels mit Schwierigkeiten gespickte Rhapsodie "Tzigane" technisch so fulminant, und dazu noch mit einem sehr persönlichen Ton, ja, bisweilen einem aparten intonatorischen Hautgout spielen kann, dürfen andere Klangkörper ruhig neidisch sein. Ebenso auf Sebastian Klinger, der im Cellokonzert von György Ligeti ein spezielles Kunststück vollbringt: mit natürlichem Charisma als Solist unter lauter anderen Solisten hervorzuleuchten. Beeindruckend allein, wie konzentriert er den ersten Ton im "pppppppp" einsetzen lässt, einem Extremwert, den der Komponist tatsächlich so notiert hat.
Lauter besonderen Werke also begegnet man hier, die von Shiyeon Sung allesamt präzise, aber auch mit einer schwer greifbaren Eleganz, einem Sinn für die Leichtigkeit, das Helle, Freundliche, dirigiert werden.
Das Konzert kann man auf www.br-klassik.de und br-so.de anhören