Shaws "Pygmalion" im Cuvilliéstheater
Irgendwann kommt der Sprachwissenschaftler Higgins doch auf seine Gefühle zu sprechen. "Ich denke die ganze Zeit an Liza", gesteht er sich ein, rund um ihn Dunkelheit, sein Körper erhellt durch einen Overhead-Projektor, über dem er gebeugt steht. Was er betrachtet, wird durch den Projektor groß auf die hintere Wand geworfen, wobei dicht gefüllte Buchreihen das Bild fragmentieren. Es ist ein Foto von Liza, deren Vokale und Konsonanten, Lippen, Zähne und Zunge, ja, Seele Higgins nicht aus dem Kopf bekommt. "Aber verliebt?", fragt er sich. "Da habe ich mehr Gefühle für, was weiß ich, für einen Salat!"
Durchkalkulierte Liebe
Ach, Higgins. Die Liebe mag ja immer einiges an Projektion beinhalten, aber selbst zu solchen Selbsttäuschungen ist der Phonetiker nicht fähig. Robert Dölle macht aus dieser Rolle ein wunderbar präzises Fest der Nerdigkeit, wobei hinter der verstockten Fassade die kühle Berechnung lauert. Denn dass Higgins seine Begegnung mit dem Blumenmädchen Liza von vorneherein durchkalkuliert hat, stellt sich erst im Laufe der "Pygmalion"-Inszenierung des iranischen Regisseurs Amir Reza Koohestani im Cuvilliéstheater heraus.
Dem patriarchalischen System gehorsam dienen
Higgins entpuppt sich als Kontrollfreak, der zwar nicht mal eine E-Mail schreiben kann, in seiner Assistentin Pearce aber eine kundige Hilfskraft in Sachen digitaler Recherche hat. Im lila Anzug gibt Maya Haddad die Frau, die dem patriarchalischen System gehorsam dient. Aber warum macht sie da eigentlich mit? Der Mann versucht, sich die Frau nach seinen Vorstellungen hinzubiegen und erlebt zunächst mal keinen Widerstand.
In Ovids "Pygmalion"-Variante erschafft ein Bildhauer sich eine Frauenstatue, in die er sich verliebt und der Aphrodite Leben einhaucht. In George Bernard Shaws Komödie, 1913 am Wiener Burgtheater uraufgeführt, wettet Higgins, dass er aus der armen Eliza eine Herzogin machen kann, indem er ihr den Akzent der Londoner High Society beibringt.
KI-Programm für die biometrische Identifizierung
Shaws Komödie war Vorlage für das Musical "My Fair Lady" von 1956; in der Musical-Verfilmung von 1964 entwickelten sich zwischen Audrey Hepburn als Eliza und Rex Harrison als Higgins zarte Bande. In ihrem Update haben Amir Reza Koohestani und die iranische Dramatikerin Mahin Sadri die Vorlage von Shaw nun in einen Theaterkontext verpflanzt, der das Spiel mit den Identitäten noch verstärkt. Liza arbeitet zwar immer noch als Blumenmädchen auf der Straße, aber es ist ein Nebenjob, um ihr Schauspielstudium zu finanzieren. Aus Higgins Wettkumpel, General Pickering, wurde ein Theaterdramaturg, den Florian Jahr als entspannten Counterpart zum verstockten Dölle-Higgins spielt. Dieser Higgins gibt, man möchte es kaum glauben, Phonetik-Stunden im Theater. Zudem entwickelt er ein KI-Programm, das die biometrische Identifizierung einer Person anhand ihrer Sprache ermöglicht. Die Software soll ermitteln können, wieviel fremder Akzent in die Sprache hineinspielt - ein dystopisches Werkzeug, mit dem auch die wahre Herkunft von Geflüchteten ermittelt werden könnte, wie Pearce enthüllt.
Nach sechs Monaten akzentfrei Deutsch
Liza soll nun diesem Projekt als Versuchskaninchen dienen und im Rahmen der KI-Entwicklung täglich vier Stunden Sprechtraining nehmen, um nach sechs Monaten akzentfrei Deutsch sprechen zu können. Ihr winkt dann die Aufnahme ins Ensemble des Theaters, in dem Pickering als Dramaturg arbeitet - eine doch ziemlich abstruse Weiterentwicklung der Wette aus Shaws Komödie.
Dass Anna Bardavelidze als Liza von Beginn an praktisch akzentfrei Deutsch spricht, ist wohl ein bewusst gesetzter Widerstand gegen ein Theater der humoristisch eingesetzten Akzente. Lizas Vater, gespielt von Delschad Numan Khorschid, spricht hingegen hörbar mit "ausländischem" Einschlag. Er lässt sich ebenfalls für die KI-Entwicklung einspannen, weil er den Sprachtest zur Einbürgerung bestehen will. Es dauert einige Zeit, bis diese Prämissen gesetzt sind. Was dann folgt, sind immer noch weitere Erklärungen zur KI, noch mehr Details, die der gewiefte Higgins per Algorithmus vorausgesehen hat, anstatt dass die Handlung in Gang kommt.
Im Sprachlabor von Higgins
Von einem Moment auf den anderen tritt Liza wie verwandelt auf, ihr (Bühnen-)Deutsch noch prononcierter, ohne dass man den Weg dorthin verfolgen konnte. Zwischen Higgins und ihr gibt es zu wenig Szenen, als dass sich eine Dynamik zwischen ihnen entwickeln könnte. Wenn er sie gegen Ende wütend angreift, weil sie nicht so tickt, wie er das will, wirkt das abrupt und so gewollt wie diese ganze Überschreibung, der für eine Komödie weitgehend die Pointen fehlen.
Und geht es hier nicht auch um einen Ausbruch der Frauen aus dem, was Higgins und sein Team auf sie projizieren? Anna Bardavelidzes Liza bleibt eine Nebenrolle, selbst wenn sie gegen Ende aufbegehrt und in der Bibliothek wütet, die sich in der riesigen Tafel im Sprachlabor von Higgins verbirgt. Per verschiebbare Bühnenelemente lässt Mitra Nadjmabadi den Raum sich eindrucksvoll verwandeln - optisch hat der Abend viel zu bieten. Und die Schauspieler geben ihr Bestes, selbst wenn sie wie Pujan Sadri als Lizas Freund Freddy kaum Spielmaterial haben.
Das Hin und Her im flotten Screwball-Tempo kann nicht übertünchen, dass der Text nur wenig zwischen den Figuren entstehen lässt. Der Abend ist verkopft wie Higgins, der immerhin zuletzt sehr witzig an seine eigenen Sprachgrenzen gerät.
Cuvilliéstheater, 24. und 28. März; 2. April, jeweils 19.30 Uhr, Karten Tel. 2185 1940
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