Sexstreik für den Frieden

Schlüpfrig, witzig, Kabarett: Wie der griechische Komödienschreiber Aristophanes neuen Aufwind bekommt mit einer improvisierten Oper, einem Buch und einer frechen, aber wahren Übersetzung
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Schlüpfrig, witzig, Kabarett: Wie der griechische Komödienschreiber Aristophanes neuen Aufwind bekommt mit einer improvisierten Oper, einem Buch und einer frechen, aber wahren Übersetzung

Gut, sein Ende war nicht gerade lustig, auch wenn er es amüsant inszeniert hat: Der römische Senator schnitt sich im Jahr 66 die Pulsadern auf, um nicht Neros Häschern in die Hände zu fallen. Dabei ließ er sich aber immer wieder den Blutstrom stoppen, um sich noch möglichst viele obszöne Lieder vorsingen zu lassen.

Nach diesem Petronius, dem Autor der Gesellschaftssatire und der Schelmen-Odyssee „Satyricon“, hat sich die Münchner „Petronian Society“ benannt, die international akademisch vernetzt ist. Einer der Köpfe dahinter ist der Altphilologie-Professor an der LMU, Niklas Holzberg: „Unsere Gesellschaft ist der Gegenentwurf zum Universitätsbetrieb, der ja dazu neigt, sich zu wichtig zu nehmen und der streng hierarchisch ist.“ Beherbergt werden die Treffen vom Lyrikkabinett in der Amalienstraße.

Heute stellt Alexander Kral aus Köln hier die von ihm komponierte „Lysistrate“-Oper vor: halb-live, indem er zwischen CD-Spieler und Klavier hin- und her rotiert.

Lederdildos und amüsante Schweinereien

Dass viele in Deutschland zwar vom Dichter Aristophanes gehört haben, aber seine Werke – wie „Lysistrate“ – kaum kennen, liegt nach Holzberg an einem banalen Grund: „Während man in Italien die ,Lysistrate’ in jeder Bahnhofsbuchhandlung als Taschenbuch kaufen kann, müssen wir noch mit den biederen Vers-Übersetzungen des 19. Jahrhunderts leben.“

Diesen „unwürdigen Zustand“ hat Holzberg selbst beendet und den Reclam Verlag überzeugt, eine neue Übersetzung zu wagen. Und die ist so saftig, dass sie braven Altsprachlern die Schamröte ins Gesicht treibt. Übersetzte man früher zum Beispiel das altgriechische Wort für „Erektion“ lieber mit „Spannungen“, setzt Holzberg konsequent auf unverhüllte Wahrheit: So, wenn die griechischen Frauen beschließen, den wahnsinnigen Bruderkrieg zwischen Athen und Sparta mit einem Sex-Streik zu beenden, ist bei Holzberg auch schon mal von „Lederdildos“ die Rede, die der Ersatzbefriedigung dienen. „Es steht halt so im griechischen Text. Ich habe versucht, die ganzen amüsanten Schweinereien klarzumachen!“

"Die Spartaner hatten einen derben Dialekt"

Das Problem, dass im Stück die Spartanerinnen einen Dialekt reden, löste Holzberg patriotisch: „Spartanerinnen redeten für Athener Ohren derber. Das 19. Jahrhundert hatte noch Schwäbisch genommen: Aber das klingt viel zu niedlich. Ich liebe die Bayern, die auch mal auf den Tisch hauen, und so reden die Spartanerinnen jetzt halt bairisch!“

Für Holzberg sind Aristophanes-Komödien eine herausragende Kunstform: „Wir verstehen ja nicht nur wegen William Shakespeare, sondern auch der ganzen Hollywood-Filme wegen unter Komödie heute vor allem: Zwei wollen sich, kriegen sich nicht und kriegen sich dann doch. Aber die Komödien des Aristophanes sind etwas völlig anderes: Sie greifen direkt ins politische Geschehen ein. Athen war damals so liberal, dass man sogar einen gerade heimgekehrten Kriegshelden verarschen konnte. Selbst den großen Sokrates hat man als wolkigen Spinner in einen Korb auf der Bühne hängen lassen. Aber all diese Texte sind in der Altphilologie sträflich vernachlässigt, weil man da eher über erbaulichen Texten grübelt, anstatt zu lachen.“

Niklas Holzberg vergleicht die antiken Komödien mit politischem Kabarett oder dem Derblecken am Nockherberg. Um Aristophanes aus dem Schatten zu reißen, hat Holzberg nicht nur „Lysistrate“ neu übersetzt, sondern gleich das Buch „Aristophanes – Sex und Spott und Politik“ geschrieben.

Heute aber ist erstmal die exzentrische „Lysistrate“-Oper im Lyrikkabinett zu hören. „Aber noch nicht aufgrund meiner Übersetzung, weil die noch nicht raus war, als Kral zu komponieren begann.“ Der Eintritt ist frei, aber es wird um Spenden gebeten. „So kann unsere Petronian Society vielleicht auch mal eine zweisprachige Aristophanes-Ausgabe finanzieren.“

Adrian Prechtel

Aristophanes „Lysistrate“, (Reclam, 3 Euro)

„Aristophanes – Sex und Spott und Politik“ von Niklas Holzberg, 240 Seiten, 24.95 Euro, erscheint am 31. August.

Heute, 8. Juli 2010, 19.15 Uhr, Petronian Society: „Lysistrate“-Oper von Alexander Kral, Lyrikkabinett, Amalienstraße 83a, Tel. 34 62 99

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