Sex mit Schubert

Der südafrikanische Schriftsteller John M. Coetzee wird heute 70. Sein jüngstes Werk „Sommer des Lebens“ behauptet, autobiografisch zu sein, parodiert aber biografische Deutungsversuche
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Der südafrikanische Schriftsteller John M. Coetzee wird heute 70. Sein jüngstes Werk „Sommer des Lebens“ behauptet, autobiografisch zu sein, parodiert aber biografische Deutungsversuche

Eine Geliebte fand ihn leichter, aber knochiger als ihren Ehemann. Als er mit ihr allerdings „Aktivitäten“ zum langsamen Satz von Franz Schuberts Streichquintett auszuführen wünschte, neigte sich die Affäre rasch ihrem Ende zu.

Über die Trostlosigkeit seines Liebeslebens schreibt John M. Coetzee offen und gnadenlos. Vergebens scheint er auch eine exaltierte Brasilianerin angebaggert zu haben, die über ihn ebenfalls urteilte, er sein kein Mann von Gewicht. Sehr weich, vielleicht schwul, in jedem Fall ein Versager als Liebhaber wie als Englischlehrer ihrer Tochter.

Die Tebaldi-Platte verkratzt

Aber stimmt das wirklich? Das jüngste Buch des Nobelpreisträgers ist der Abschluss einer autobiografischen Trilogie. Aber dem ist im Fall von „Sommer des Lebens“ kaum zu trauen. Der echte Coetzee feiert heute seinen 70. Geburtstag, obwohl er im Buch schon tot ist. Geschrieben hat es ein fleißiger Wissenschaftler, der einen bisher zu wenig beachteten Abschnitt dieses Schriftstellerlebens beleuchten wollte.

Nach vier Interviews hat der Forscher herausbekommen, dass Coetzees zwielichtiger Vater im Zweiten Weltkrieg zum Opernfan wurde und eine Platte von Renata Tebaldi besaß, die ihm der Sohn aus Liebe zu Bachs h-moll-Messe zerkratzte. Dann ereilte den Forscher die Einsicht in die Vergeblichkeit seines Strebens: Die Materialsammlung blieb Fragment. Denn alle die Leute, die Coetzees Leben kreuzten, hinterließen im Werk keine Spuren. Eine Ex-Geliebte ärgert sich darüber, aber sie findet die Bücher sowieso nicht „kühn“ genug.

„Sommer des Lebens“ beschreibt eindrucksvoll die Tristesse im Südafrika der Apartheid um 1970. Aber es ist am ehesten eine Parodie auf die noch immer beliebte, nach gängiger Mehrheitsmeinung der Wissenschaft jedoch unergiebige Suche nach dem Schlüssel für die Kunst im Leben des Künstlers. Der Coetzee des Buchs ist wohl eine literarische Figur. Genau wird man es nie wissen, denn der scheue, seit 2002 in Australien lebende Autor liebt die Vexierspiele. Wer seine Bücher kennen lernen will, ist mit dem Roman „Schande“ besser bedient als mit diesem Nebenwerk.

Robert Braunmüller

J. M. Coetzee: „Sommer des Lebens“ (Fischer, 19.95 Euro)

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