Selbstverliebte Wurstigkeit
Dass neue Opern schief gehen, gehört zum Risiko einer Musiktheater-Biennale. Halbleere Konzerte aber zeugen von Arroganz gegenüber dem breiten Publikum, das nur als störend empfunden wird
Selbst Richard Wagner hatte am Ende seines Lebens das Kostüm- und Schminkewesen satt. Er wollte nur noch Symphonien schreiben. Pierre Boulez erwog sogar die Sprengung von Opernhäusern. Seitdem gehört es zum guten Ton, die großen Musiktempel zu hassen, in der viele mitreden und wo die Genialität des Einzelnen durch den Fleischwolf der Institution gedreht wird.
Zur Abhilfe und aus Erfahrung gründete der Komponist Hans Werner Henze 1988 die Münchner Biennale für zeitgenössisches Musiktheater. Regisseure und Musiker sollten gemeinsam Stücke erarbeiten. Schon zum zweiten Mal wurde dieses Festival nun von einer Konzertreihe ergänzt. Das ist zwar eine Bereicherung, angesichts der verbreiteten Unlust aufs Komponieren von Opern aber auch ein wenig absurd.
Vor zwei Jahren spielten erstklassige Musiker vom Klangforum Wien oder dem Ensemble Intercontemporain vor weniger als halbleeren Sälen. Leider hat der Festivalchef Peter Ruzicka daraus nichts gelernt: Am vergangenen Wochenende gastierten das Radiosymphonieorchester Wien und das DSO Berlin im spärlich besuchten Herkulessaal. Auch bei den Münchner Philharmonikern verloren sich gefühlte 400 Leute im Gasteig.
Einsame Arbeiter im Weinberg der Avantgarde
Das ist eine Verschwendung von Ressourcen. Warum übernimmt das Orchester der Stadt sein Konzert mit Werken von Nono und Schönberg nicht in eine seiner Abo-Reihen? Wieso arbeitet das städtische Avantgarde-Festival nicht im Vorfeld mit Schulen zusammen, wie es unter Henze einst üblich war? Es genügt nicht, das Gute zu tun und zu warten, dass es sich irgendwie selbst durchsetzt.
Die Programme der bisherigen drei Konzerte wurden von den drei jungen Komponisten Hans Thomalla, Bernhard Gander und Francesco Filidei verantwortet. Ihre eigenen, durchwegs kraftvollen, auch aus dem Bauch heraus geschriebenen Stücke waren schlüssig mit Klassikern der Avantgarde ergänzt, die Didaktik der bisherigen drei Abende hervorragend. Weil die Mühen der Vermittlung gescheut wurden, erschienen nicht einmal die aus der musica viva bekannten Gesichter, von den Funktionären ganz zu schweigen.
Gerade der Motörhead-Liebhaber Gander hätte sich angeboten hätte, jüngeren Hörern die Neue Musik nahe zu bringen. Am fehlenden Geld kann’s kaum liegen: Orchestergastspiele sind bekanntlich unverschämt teuer. Die generöse Förderung durch die Siemens-Musikstiftung lädt offenbar dazu ein, in lähmender Wurstigkeit am Interesse des Publikums vorbeizuplanen. Es wird Zeit, dass die Biennale auf die musica viva, die Staatsoper, den Gärtnerplatz und andere Münchner Musik-Institutionen zugeht, ehe die klamme Stadtkasse sie dazu zwingt.
Mehr Dramaturgie wäre auch nicht schädlich: Was haben Konzerte für Cello oder Flügelhorn mit Musiktheater zu tun? Es war bezeichnend für die unter Komponisten verbreitete Opernangst, dass an den bisherigen drei Abenden weder ein Werk mit Gesang aufgeführt wurde noch ein Stück, das als Instrumentales Theater zur Bühne drängte.
Nie werden die Leute zu Neuer Musik strömen wie zu Neo Rauch. Hören und sitzen ist anstrengender als schauen und flanieren. Deshalb resigniert nur den Bekehrten zu predigen, ist gewiss der falsche Weg.
Robert Braunmüller