Selbstverbrennung im Krokodilsrachen
Die Welt hat ihn wieder: München bejubelte den mitreißend charmanten Rolando Villazón in der Philharmonie, begleitet von den Prager Philharmonikern.
Der Lustschrei löste die Spannung: „Viva Rolando!“ rief eine weibliche Stimme nach der Ballata des Herzogs aus Verdis „Rigoletto“. Und erst hier, weit in der zweiten Hälfte des Konzerts, schlug die freundliche Anteilnahme in eine Ekstase um, wie sie dem Kult dieses Tenors würdig ist, der jede Arie wie eine Selbstverbrennung inszeniert.
Auch nach seiner halbjährigen Zwangspause singt der unwiderstehliche Mexikaner noch immer, als wäre ein Krokodil hinter ihm her. Das gefräßige Reptil hat auch einen Namen: Es ist die nach einem Domingo-Nachfolger gierende Musik- und Eventindustrie. Sie schickt ihn mit dem Programm seiner im April 2007 eingespielten – aber erst jetzt veröffentlichten – CD „Cielo e mar“ auf Tour. Um die Erwartungen nicht zu enttäuschen, muss Villazón die Arien gefährlicherweise nun mit jener gewaltigen Emphase schmettern, die seinen Burn-Out herbeiführte.
Dieses Spiel, das der Mexikaner vielleicht wider besseres Wissen mitmacht, hat Schäden hinterlassen. Zwar leuchtet sein dunkler Tenor noch immer wie reifer Burgunder. Aber mit den drastisch hingebungsvollen Schmerzensmännern aus Cileas „Adriana Lecouvreur“ oder Verdis „Simone Boccanegra“ betreibt Villazón Raubbau an seiner lyrischen Stimme. Und so verschwand das hohe B in Enzos lyrischem Höhenflug aus Ponchiellis „La Gioconda“ hinter einem grauen Schleier, der sich im Verlauf des Abends immer dichter über die Spitzentöne senkte.
Die wackeren Prager Philharmoniker unter Marco Zambelli trugen Villazón wie auf Händen. Sein Charme und Charisma trösteten über alle Mängel hinweg. Nach der ersten Zugabe, einer Arie aus Boitos „Mefistofele“, bekam der Star zum Anfassen einen kleinen Bären geschenkt, mit dem er „O sole mio“ tanzte.
Dann bimmelte ein Handy, worauf sich jemand den Kalauer „Anna is calling“ gestattete, obwohl nach deren Schwangerschaft wirklich jeder wissen dürfte, dass es sich zwischen Villazón und Netrebko um eine rein berufliche Liaison handelt.
Zuletzt fletschte das Krokodil noch gefährlich die Zähne: Villazón verabschiedete sich mit dem übertourt gesungenen Knaller „Granada“. Hoffen wir, dass er ihm doch noch entwischt. Die Oper braucht ihn.
Robert Braunmüller
Die CD „Cielo e mar“ erschien bei der Deutschen Grammophon