Sehnsucht nach dem Ursprung

Joseph Beuys trifft in Kochel auf Franz Marc – in einem Rendezvous aus 120 Zeichnungen
Christa Sigg |
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Der eine suchte die Stille im Murnauer Moos, weit weg vom Trubel in München. Der andere genoss förmlich die Öffentlichkeit, kaum ein Auftritt in späteren Jahren, ohne die Medien vorher zu informieren. Und man fragt sich tatsächlich, was den ruhigen Franz Marc mit dem von messianischem Sendungsbewusstsein durchdrungenen Joseph Beuys verbinden könnte. Zwei, die sich nichts zu sagen hätten? Im Gegenteil. Bei allen Widersprüchen gibt es genug Vergleichsmöglichkeiten, sogar Parallelen, die – das wird jetzt im Franz Marc Museum in Kochel vor Augen geführt – zu einem vielsagenden Tête-à-Tête führen.

Gemeinsame Wurzeln in der Romantik

Und natürlich, da sind vor allem die Tiere. Beiden ging es jedoch nie ums bloße Abbilden nach der Natur, bei Marc wie Beuys wurden Tiere zu Chiffren einer Weltanschauung. Einer Auffassung, die zuweilen direkt in der Romantik wurzelt. Da begegnen wir dieser tiefen Naturverehrung, der Kritik am schnöden Materialismus, dem Versuch, wieder eins zu werden mit den unverfälschten Ursprüngen – „ich hörte einst von alten Zeiten reden; wie die Thiere und Bäume und Felsen mit den Menschen gesprochen hätten”, heißt es bei Novalis.

Franz Marc bettet seine Rehe, Schafe und vor allem seine Pferde – Symbole für das Spirituelle – in einen klar abgezirkelten Kosmos, rhythmisiert sie vital und farbenfroh in geometrischen Strukturen. Noch ein erlegtes Reh, eingerollt auf der Erde, hat etwas Dynamisches, erzählt in kühnen roten Tönen von einem verlorenen Paradies.

Bei Beuys ist die Gefährdung immer zugegen, mit fragilen, suchenden Strichen gezeichnete Hirsche – für ihn Begleiter der Seele – oder Elche drohen zu stürzen, scheinen den Boden unter den Hufen zu verlieren. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg dominieren sie Beuys Œuvre, da ist die Welt längst aus den Fugen geraten. Und wer weiß, was aus Marcs kraftvollen Formen, den leuchtenden Farben geworden wäre, hätte er den Ersten Weltkrieg – der Künstler fiel 1916 erst 36-jährig bei Verdun – überlebt. Die Veränderungen, Verdüsterungen kündigen sich ja schon an in seinen letzten beiden Jahren.

Beuys' Behutsamkeit besticht

Dieses Unwohlsein in einer aus der Balance geratenen Welt führte bei Beuys bekanntlich zu einem konkreten politischen Engagement. Und zu Aktionen, die sich ins Gedächtnis der Kunst gebohrt haben. Etwa, wenn er dem „toten Hasen die Bilder erklärt” und dabei das Tier sorgsam beschützend in den Armen hält wie ein neugeborenes Kind.

Überhaupt ist es die Behutsamkeit, das zarte Erkunden, das mehr noch in Beuys’ Grafik besticht. Selbst die überaus intimen Frauenakte aus den späten fünfziger Jahren mit den gnadenlos gespreizten Beinen sind nie krude. Warum auch? War die Frau mit ihren sensiblen Antennen, ihrer Offenheit für den Schamanen doch immer eine Vermittlerin. Nicht nur ins Unbewusste, sondern genauso in archaische – bessere – Zeiten. Im weitesten Sinne klingt das auch in Marcs wohlgeformten Badenden an, in den Rundungen eines weiblichen Bronze-Torsos und vor allem in der „Roten Hirtin mit Schafen”, die wie von einem fernen Farbstrahl von oben erfasst, ja erleuchtet wird.

Und dennoch kommen sich Marc und Beuys in den 120 Zeichnungen nirgends so nah, wie im Reich der Tiere. Egal ob wild oder zahm.

Bis 27. November, Di bis So 10 bis 18 Uhr, Katalog (Schirmer/Mosel), 29.80 Euro (Museum)

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