Schwestern zur Zukunft
Mit dem „Lohengrin“ in der Regie von Hans Neuenfels beginnen am Sonntag die Bayreuther Festspiele. Der Sprung in eine neue Ära?
Die Schwestern sind zu bekämpfen, aber zu ertragen!“ Hans Neuenfels ist immer gut für einen knorrigen Kommentar, und jetzt muss er sogar selber grinsen. Sonst liegen die Nerven blank, und nicht nur der Zigarettenkonsum ging sauber in die Höhe. Der Grüne Hügel kann steil sein, und tückisch, selbst für einen routinierten grauen Theaterhasen, der gewohnt ist, anzuecken. Konfliktreich sei’s gewesen mit Eva und Katharina, aber auch „aufregend und inspirierend“, muss er zugeben, „Schwestern hin oder her“.
Seit die Walküren das Zepter schwingen, hat sich weniger geändert, als man glauben möchte. Walhall ist auch nach dem Tod von Festspiel-Göttervater Wolfgang Wagner eine hermetisch abgeriegelte Burg, nicht irgendein Opernhaus, das um seine Kundschaft buhlen muss. Und alle spielen mit. Selbst der zache Neuenfels, dem die Mystik des Ortes nichts bedeutet, macht bei aller Vielzuwenigprobengereiztheit doch den Eindruck, als sei mit Bayreuth noch dieses letzte kostbare Figürchen in seinem Setzkasten gelandet. Jetzt, nachdem endlich auch die Bayerische Staatsoper mit Johann Simon Mayrs „Medea“ nach dem 69-jährigen Aufrührer gegriffen hatte. Seine Regieeinfälle sind ja immer noch gut für Buhsalven und halbwegs hitzige Debatten.
Shanghai könnte sich die Ratten schnappen
Dass gar nicht so possierliche Ratten die neue „Lohengrin“-Bühne bevölkern, als Labor-Volk von Brabant sozusagen, hat sich längst rumgesprochen, ist aber natürlich streng geheim. Könnte ja sein, dass in Shanghai einer die Inszenierung einfach kopiert und noch vorher damit auf den Markt kommt. Das muss man verstehen. Und auch die Künstler halten sich weitgehend ans Schweigegelübde, schwärmen lieber von der immer noch einzigartigen Atmosphäre in diesem Hortus conclusus und wissen, dass am Sonntag selbst Opernhasser Notiz von ihnen nehmen.
Besonders vom neuen Traumpaar Jonas Kaufmann und Annette Dasch. Die beiden sind halt gar zu attraktiv. Lohengrin, der in natura noch eine Spur besser ausschaut als auf den strenessegestylten Latin-Lover-Fotos. Und Elsa, die gar nicht so ätherische Berliner Soprangöre mit diesen eindringlichen blauen Kulleraugen (am Donnerstag wurde sie durch ein herabfallendes Requisit leicht verletzt, zur Premiere ist sie wieder da). Mehr kann selbst ein Regisseur kaum wollen: „Selten habe ich so eine homogene, aufregende Besetzung gehabt“, betont Neuenfels, und auch mit Dirigent Andris Nelsons würde er sich irrsinnig gut verstehen: „Wir kommen mit Blicken und Blödeln zurecht“ – trotz des enormen Altersunterschiedes. „Denn mit Quatsch kommt man immer zur Sache, vorausgesetzt man hat ein Ziel“, sagt er mit dieser unverwechselbar heiseren Stimme. Wagner hin oder her.
Den sollte man sowieso viel radikaler zur Diskussion stellen: „Dass Wagner die ganze Welt auf die Bretter hievt, muss man zeigen“, fordert Neuenfels, „für uns ist das eine Utopie.“ Und die ist dann wohl im Labor gelandet, was seinerzeit noch mit Gudrun Wagner bekakelt und festgezurrt wurde. Ein hübsches Aperçu, wenn man bedenkt, dass damit immer noch das passiert, was früher eben auch passiert wäre. Also muss der späte Ausstieg von Lucio Gallo als neuer Telramund nicht weiter irritieren. Das gab’s sowieso schon immer. Auch dass mit Hans-Joachim Ketelsen ein alter Bayreuth-Kämpe die Partie übernimmt.
Im Gegensatz zu den Nornen, fragt man besser nicht, wie das wird. Schwestern hin, Schwestern her.
Christa Sigg
Live aus Bayreuth am Sonntag, 16 Uhr auf Bayern 4 Klassik