Schokolade und Schaumwein

"Der Mann aus der Pfalz" - das Doku-Drama über Helmut Kohl kam der Realität vielleicht näher als manches Interview. Ein unkomplettes, aber dennoch gelungenes Porträt zwischen dem Mantel der Geschichte und der Banalität des Provinziellen.
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HAMBURG - "Der Mann aus der Pfalz" - das Doku-Drama über Helmut Kohl kam der Realität vielleicht näher als manches Interview. Ein unkomplettes, aber dennoch gelungenes Porträt zwischen dem Mantel der Geschichte und der Banalität des Provinziellen.

Da ist diese eine Szene: Der Abend im November 1989, an dem die deutsche Wiedervereinigung unaufhaltsam ihren Lauf genommen hat. Helmut Kohl steht im Kanzlerbungalow, seine Getreuen an der Seite. Man stößt mit einem Glas Sekt auf den Erfolg an. Es ist ein Triumph der leisen Töne, kein lautes Feiern wie in den politischen Anfangsjahren des Pfälzers, als der Wein in Strömen floss. Helmut Kohl schwelgt darüber in Erinnerungen, als er wieder alleine am Kanzler-Schreibtisch sitzt.

Und da ist diese andere Szene: Kohl, der CDU-Chef, entlässt seinen Generalsekretär Heiner Geißler, blickt dem Geschassten nach und futtert Schokolade in sich hinein.

Es ist die Aufeinanderfolge von großen politischen, ja manchmal sogar weltpolitischen Momenten und der Banalität des oggersheimischen Provinziellen. Produzent Nico Hoffmann und Regisseur Thomas Schadt haben dies in Der Mann aus der Pfalz (Di, 20:15 Uhr, ZDF) zu einem ganz speziellen Porträt des Kanzlers der Einheit zusammengefügt. Dass dabei eigentlich geplant gewesene Interview-Passagen nicht vorkamen, nahm dem Doku-Spielfilm nichts von seinem Reiz. Die großartigen Schauspieler Thomas Thieme (als Kanzler) und Stephan Grossmann (als junger, frech aufstrebender Kohl) zeichneten so ein Bild des Pfälzers, das der Realität vielleicht näher kam als manches Gespräch.

Die meisten Deutschen haben Kohl als ewigen Kanzler in Erinnerung, dessen Leistung darin bestand, nach dem Mantel der Geschichte gegriffen und nicht gezögert zu haben, als die Chance zur Einheit kam. Und der sonst vieles einfach aussaß. Der Mann aus der Pfalz zeigte diese Seite Kohls. Aber er thematisierte auch den anderen Kanzler und Parteichef, der - entgegen diesem Urteil des Aussitzens - sehr wohl auch entschlossene Entscheidungen traf, der zu handeln, der zu improvisieren verstand und der sich fast bemitleidenswert allein fühlte am Gipfel der Macht.

Regisseur Thomas Schadt arbeitet viel mit Rückblenden, die in ihrer raschen Abfolge mitunter etwas verwirren. Und er lässt Thieme aus dem Off heraus als Helmut Kohl erzählen. Das wirkt authentisch, aber manches davon wäre verzichtbar gewesen. Zum Beispiel Sätze wie: "Das waren Zeiten." Etwas zu viel waren dann auch die Bilder vom Kanzler in Unterwäsche kurz vor dem Bremer Parteitag 1989. Manch anderes wurde in dem Porträt hingegen glatt übergangen: die Parteispendenaffäre etwa oder das politische Ende, die Götterdämmerung. Aber trotzdem: Der Mann aus der Pfalz war ein sehenswertes Werk. Es hätte sich eine bessere Quote verdient. Nur 2,8 Millionen Menschen wollten das Doku-Drama sehen, ein enttäuschender Marktanteil von 8,7 Prozent.

Stephan Kabosch

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