Schöner stirbt keine Mimi

Anna Netrebko und Joseph Calleja in Puccinis „La Boheme“ im Nationaltheater
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Anna Netrebko und Joseph Calleja in Puccinis „La Bohème“ im Nationaltheater

Wenn Otto Schenks unverwüstliche Inszenierung von 1969 auf dem Spielplan steht, leben alte Opernzeiten auf. Das Hirn muss keine schwer verständlichen Zeichen entschlüsseln. Gefühle beherrschen die Szene, und die Stimmen von Anna Netrebko und Joseph Calleja sorgten für jenes erregend-sinnliche Kribbeln, das einen im Nationaltheater wegen der schieren Größe des Raums nur selten erfasst.

Der Rummel um die Russin mag einem auf den Wecker gehen. Eine bessere Mimì gibt es jedoch derzeit nicht: Keine Sängerin trifft den naiven Charme dieser Näherin auf der Bühne natürlicher als die Sopranistin mit der balsamisch dunkel sinnlichen Stimme. Sogar ein neues Detail ringt sie der Oper ab: Ihre Mimì verliebt sich vor allem in den Journalisten Rodolfo, dessen Leitartikel sie während der Arie vom eiskalten Händchen bewundernd liest.

Glaubhaft in ihrer Verletzlichkeit und im Pathos

Bei ihrem Auftritt spielt die Netrebko einen Schwächeanfall. Mimìs Schwindsucht ist damit erledigt, ihr Tod kommt recht unmotiviert. Aber sei’s drum: Wichtiger ist das sichere Tempogefühl, mit dem die Sängerin die Arie „Mi chiamano Mimì“ gliedert. Die Figur leidet glaubhaft an ihrer Einsamkeit und macht mit ihrer Stimme deutlich, wie sehr es sie enttäuscht, dass gestickte Blumen nicht duften.

Anna Netrebko verlässt sich nicht nur auf ihren Ruhm, sie hat als Interpretin etwas zu sagen. Ebenso gliedert sie sich als Darstellerin vorbildlich ins Ensemble ein und strebt nicht dauernd zur Rampe. Bei Mimìs Leidenspathos im dritten und vierten Akt hält sie die lyrische Verletzlichkeit und die Dramatik der Stimme im Gleichgewicht. Da blieben keine Wünsche offen.

Die Überraschung des Abends war der nach Anfangserfolgen und einer ersten Platte zwischenzeitlich schwächelnde Joseph Calleja. Schon bei „Nel cieli bigi“ legte er sich ins Zeug, als ginge es um Leben und Tod. Der Malteser singt laut, aber nicht um jeden Preis. In der Arie des ersten Akts bremste er den mit dem Staatsorchester grundanständig begleitenden Dirigenten Daniele Callegari so aus, dass der musikalische Bogen zerbrach. Auch der von einem Störgeräusch begleitete Strahleton wirkte eher gymnastisch denn als eine Liebeserklärung. Wegen der bläserhaft hellen Stimme und der steifen Darstellung erinnert er im Guten wie im Schlechten mehr an Pavarotti, als einem lieb ist.

Der Verlobte war auch da

Die Stars rahmte ein gutes Ensemble, in dem nur die untadelig singende Jessica Muirhead wegen ihrer Bravheit etwas abfiel. Die üblichen Herren Nikolay Borchev (Marcello), Christian Rieger (Schaunard) und der unverwüstliche Alfred Kuhn (Benoît) wurden durch den knorrig-knurrenden Bass John Relyea bereichtert, der für die Mantel-Arie einen Extra-Applaus erhielt.

Das Publikum lüftete angesichts von Galapreisen bis zu 264 Euro die Abendkleider für die Festspiele aus. Auch schöne Männer zierten: An der Seite von Nikolaus Bachler verfolgte Erwin Schrott den Abend.

Robert Braunmüller

Die Vorstellungen am 28. und 31. Mai. sind ausverkauft

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