Schöne unbekannte Welt

Wüsten, Tempel, Haremsdamen und Opium: Mit 150 Werken von Delacroix bis Kandinsky wird in der Hypokunsthalle ein möglichst vielfältiges Bild des „Orientalismus’ in Europa“ gezeichnet
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Wüsten, Tempel, Haremsdamen und Opium: Mit 150 Werken von Delacroix bis Kandinsky wird in der Hypokunsthalle ein möglichst vielfältiges Bild des „Orientalismus’ in Europa“ gezeichnet

Eigentlich fehlt hier nur noch Liz Taylor. Als Cleopatra natürlich und unbedingt mit dieser zentnerschweren Wahnsinnshaube, bei der man allein vom Hinsehen ins Delirium fallen kann. Uns stünde leibhaftig vor Augen, was durch Regisseurs-Hirne in Hollywood geisterte – und letztlich aus der Alten Welt kam. Auch das ist jetzt in der Ausstellung „Orientalismus in Europa“ der Hypokunsthalle schön zu sehen.

Übrigens ganz ohne direkten Verweis auf die Historien- schinken der Traumfabrik, die Bezüge drängen sich schon selber auf. Und schiebt man die fein gepflegte Terrorpanik westlicher Couleur nur ein paar Zentimeter beiseite, macht sich auch bei uns ein reichlich antiquiertes Orientbild breit. Eine Art Wunschvorstellung, die sich immer noch aus den Märchen aus 1001 Nacht speist. Aus Haremsfantasien voll nackter Lieblichkeiten, exotisch unheimlichen Viechern, endlosen Wüstenweiten und sagenhaften Tempeln. Dem also, was viele Künstler im 19. Jahrhundert auf ihre Leinwand brachten.

Dabei begann alles mit einem Desaster. Der Ägyptenfeldzug Napoléons (1798- 1801) war alles andere als von Erfolg gekrönt, nur baut der kluge Staatsmann vor und reist nicht allein mit Soldaten. Sage und schreibe 167 Forscher und Künstler zählten zur Entourage des späteren Franzosenkaisers. Die sammelten, beobachteten, hielten fest – und entfachten eine Ägyptenmode, die weit über Frankreich hinausreichte. Auch über den Rokoko-Adel, der sich den Mokka längst von den Vorfahren des Sarottimohren servieren ließ oder beim Türkei-Maler und Experten Jean-Étienne Liotard bestellte.

Räkelnde Leiber

Leider ist von diesem Künstler kein einziges Bild in der Ausstellung gelandet, sie entstanden vor den napoléonischen Ägyptenexkursionen, die die Schau bewusst zum Auftakt nimmt. Und verständlicherweise verließ auch keines der Riesenformate von Géricault oder Delacroix den Louvre (zum Ausgleich gibt’s Kleinversionen). Dafür serviert das Team um Roger Diederen eine erstaunliche Fülle an Werken, die das Phänomen Orientalismus anschaulich auffächert. Und mit Hans Makart, John Frederick Lewis oder auch Kandinsky und Klee die Vorstellung von den orientdominanten Franzosen zumindest leicht korrigiert.

Das beginnt mit dem phänomenalen Türken Osman Hamdi Bey, der in Paris studiert hatte und beide Kulturen gut kannte. Die raffinierte Zuspitzung in seinen Bildern nimmt man auf den ersten Blick oft gar nicht wahr. Im Münchner Exponat hat ein entspannter „Persischer Teppichhändler“ leicht versnobte Souvenir-Kunden aus Europa. Wer weiß, dass Hamdi Bey Gründer des ersten archäologischen Museums der Türkei war, sieht die besondere Delikatesse dieser Arbeit. Und nicht nur der. Auch Jean-Léon Gérômes „Golgatha“ zeigt die Gekreuzigten als Schatten einer einst so mächtigen christlichen Kirche. Was nicht nur beim Klerus schwerlich punkten konnte.

Viel lieber sah man sich räkelnde Leiber im Bad, prächtig ausstaffierte Haremsszenen, Opiumräusche und schillernde Tigerfelle. Exotik eben, das geheimnisvolle Unbekannte, dessen Klang Gérôme virtuos wiedergeben konnte. Überhaupt Gérôme. Wer immer noch die Nase rümpft, hat hier zumindest zehn Beispiele, von denen allein fünf diesen Standpunkt ändern müssten. Auch wenn grafische Studien leider fehlen. Aber welche Sammlung entlässt das fragile Material schon nach Brüssel, jetzt München und im Sommer dann Marseille?

Christa Sigg

Bis 1. Mai, Katalog 29 Euro (Hirmer Verlag)

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