Schneewittchen mit den 70 Flöten
Sie kippt Klischees: Ausgerechnet mit der Blockflöte - dem Schrecken aller Musikschüler - hat Dorothee Oberlinger großen Erfolg
Pechschwarze Haare, Elfenbeinteint. Und dann noch dieses feingliedrige Figürchen. Wenn es in märchenhaften Vorzeiten jemals eine Flötenfee gegeben hat, dann ist Dorothee Oberlinger die Reinkarnation. Wie verzaubert torkeln die Leute aus ihren Konzerten, verhext von einer Blockflöte! Wie das sein kann? Vergessen Sie alles, was Ihnen zu diesem Instrument einfällt, den Phon-Terror musikalischer Früherziehung, die esoterisch flatternden Batiktücher zwischen Rhythmuskörpern und Klangstäben. Nichts, aber auch gar nichts hat das mit Oberlingers Flötenkunst zu tun. Überzeugen kann man sich davon am Dienstag, 10. November, im Prinzregententheater, wo sie mit dem Ensemble Sonatori de la Gioiosa Marca Händel, Telemann und Vivaldi spielt. Die AZ erwischte sie zwischen den Proben.
AZ: Frau Oberlinger, hatten Sie auch eine Flötenlehrerin mit Dutt, Faltenrock und gehäkeltem Wolltuch? DOROTHEE OBERLINGER: Überhaupt nicht! Meine Mutter war meine erste Lehrerin – und sie kam damals recht flott daher. Wir haben uns das Flöten zusammen beigebracht.
Wie das denn? Von einer Polenreise hatte sie zwei Sopranblöckflöten mitgebracht. Und dann haben wir – ich war so ungefähr fünf – mit einer ganz einfachen Flötenschule losgelegt.
Gut, dann hatten Sie kein Einstiegstrauma Nein, ich musste nie im Pulk mit der ganzen Schulklasse tröten. Was einem die Sache ja verleiden muss und wohl der Grund fürs schlechte Image der Blockflöte ist.
Sie gilt ja auch als ziemlich unerotisch, dabei war früher genau das Gegenteil der Fall. Ja! Bei jeder Liebesszene! Wenn im Barock von arkadischen Zuständen die Rede war, dann kam natürlich die Flöte zum Einsatz.
Was tun Sie, um die Leute von der Sinnlichkeit Ihres Aschenputtels zu überzeugen? Das geschieht sicher ganz unbewusst, ich spiele einfach unglaublich gerne. Wie ein Sänger kann ich mit vielen, vielen Farben arbeiten. Und ich versuche, ein möglichst großes Spektrum an Klang zu erzeugen.
Sie müssen sich aber auf Gedeih und Verderb mit dem Barock begnügen. Von müssen kann überhaupt nicht die Rede sein! Ich bin froh, in dieser Zeit zu Hause zu sein. Diese ganzen Solokonzerte von Vivaldi, Telemann... bilden ein fantastisches Repertoire. Und auch die zeitgenössische Musik bietet wieder ziemlich viel für uns.
Ihr Liebling scheint aber doch Herr Telemann zu sein. Er hat sicher einige der besten Werke für die Blockflöte geschrieben. Es ist aber ein Zufall, dass ich die letzten drei CDs mit Musik von Telemann gemacht habe. Allerdings hab ich's schon auch ganz gerne, mich mit einer Sache intensiver zu befassen.
Haben Sie wenigstens eine Lieblingsflöte? Eigentlich nicht. Ich muss auch mal wieder zählen, momentan werden es so um die 70 Exemplare sein. Die kommen auch alle zum Einsatz.
Wie bitte? Ja, man braucht verschiedene Größen für die unterschiedlichen Stimmbereiche, aufs Repertoire kommt es an. Und auf die Größe des Konzertsaals.
Ihre Größte? Eine Bassflöte, die ist 1,50 Meter lang. Die kleinste ist nicht größer als ein Finger. Männer mit großen Fingern haben da keine Chance.
Spielen Sie eigentlich auch so höllisch teure historische Instrumente wie die Geiger? Ich habe Nachbauten – und ein einziges wirklich historisches Instrument.
Spielt sich das anders? Etwas schwieriger, aber es klingt sehr charakteristisch. Deshalb hätte ich gerne mehr solcher Flöten. Man kommt nur schwer dran. Und natürlich sind sie teuer, aber das ist kein Vergleich mit den Stradivaris oder Guarneris.
Versteht Ihr Umfeld diese innige Liaison mit der Flöte? Sagen wir's mal so, meine Mutter ist zwar eine versierte Hobbyflötistin, aber meinen Eltern war es eher peinlich, als ich bei „Jugend musiziert“ gewonnen habe und das dann auch in der Zeitung kam... Sie hatten’s nicht so gerne, dass ich Blockflöte studiere und alles auf eine Karte setze. Also habe ich erst mal Schulmusik abgeschlossen. Trotzdem: Mein Vater ist Pfarrer, ich hatte schon früh regelmäßige Auftritte in der Kirche.
Sie spielen ja auch noch Cello und Cembalo. Stimmt schon, aber mich zog es immer viel mehr zur Flöte. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.
Flötenspielerinnen lesen in ihrer Freizeit Gedichte von Andreas Gryphius und hegen ein Kräutergärtlein à la Hildegard von Bingen... Dagegen wäre gar nichts einzuwenden. Aber ich habe ja nicht mal einen Balkon. Also: Flötenspielerinnen kochen Pasta – und das al dente! –, machen Yoga, hören Yello...