Schmetterlinge im Blut
Eine reiche Schau mit erstaunlichen Leihgaben - Die Villa Stuck zeigt die Liebe in der Kunst seit Petrarca und beweist: Das Bildvokabular der Erotik hat sich über 2000 Jahre kaum verändert.
Liebe ist wie eine keimende Kartoffel: Am Anfang treibt sie wilde Blüten, trägt doch bereits den Verfall bis zur Ungenießbarkeit in sich. So stellt es sich in den Kleinplastiken von Mariella Mosler dar. Zu sehen sind die herzigen Erdäpfelpokale in der Ausstellung „True Romance“ der Villa Stuck, eine Kooperation mit den Kunsthallen zu Wien und Kiel.
Ein literarischer Klassiker ist Ausgangspunkt für diese reiche Bilder-Schau mit erstaunlichen Leihgaben (u.a. dem Codex der Anne de Polignac, um 1500, aus der Sammlung Speck): Petrarcas lustvoll-flehende Sonette an das Idealfräulein Laura werden zur Keimzelle aller Liebes-Kunst – und deren Gegenteil. Dabei muss hier Giorgiones vermeintliches Laura-Bildnis (1506) aus dem Kunsthistorischen Museum fehlen – so etwas leiht man nicht her.
Von der Renaissance führt der Romantik-Lehrpfad Amors Pfeil hinterher durch das säuselnde 19. und das schwüle 20. Jahrhundert bis heute ins Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit. Gezeigt wird allerlei Ätherisches wie Fleischliches: Man findet Franz von Stucks schemenhaften Kuss unterm „Abendstern“ (1912) und Richard Princes nackte Motorradbräute („Girlfriends“, 1993), Rossettis Triptychon „Paolo und Francesca“ (1862) und Tracy Emins Unterwäschepuff „All the lovings“ (1997).
Es ergeben sich keine gewaltigen Erkenntnisse, aber frappierende Gegenüberstellungen von klassischen Amor-, Venus- und Adonis-Darbietungen mit zeitgenössischer Kunst. Da taucht Polke ins Mittelalter und Twombly ins Rokoko, Nan Goldin, Chris Ofili oder Douglas Gordon stoßen auf Kandinsky und Klimt: Lauter Küsse – innige, sinnliche, verzweifelte, eklige. Dabei offenbart sich: Das Bildvokabular der Erotik hat sich über 2000 Jahre kaum verändert; schamhaft-laszive Posen sind seit der Antike der Renner. Mit dieser Tradition spielt auch Michelangelo Pistolettos Lumpen-Venus von 1967, die so wenig fehlen darf wie Paraphrasen der schaumgeborenen Botticelli-Schönheit.
Bei Damien Hirst flattern die Schmetterlinge nicht im Bauch, sondern sind in Lack auf Leinwand erstarrt. Und für Richard Artschwager ist die Verschmelzung der Liebenden eine haarige Angelegenheit. Neben den üblichen Verdächtigen finden sich auch unbekanntere Meister, deren Malerei das Hinschauen lohnt, etwa Cecilia Edefalk oder Barnaby Furnas. Und der junge Münchner Star Michael Sailstorfer durfte seine sperrige Kerouac-Hommage „Dean & Marylou“ in den 3. Stock hieven.
Die ernüchternde Realität von Zweierbeziehungen führt Runa Islams Video „Director’s Cut/Fool for love“ (2001) vor: Zwei Frauen murmeln unentwegt „I love you“, zwei Männer schreien zunehmend lauter „I hate you“ – allen gemeinsam ist die völlige Unmöglichkeit aufeinandereinzugehen. Schuld an der ewigen Geschlechter-Misere ist der „Toxic Shock“ (Tim Noble & Sue Webster): Noch keimt Hoffnung, schon rinnt das Blut. Roberta De Righi
Ab morgen bis 12. Mai, Di – So 11 bis 18 Uhr, Katalog 29 Euro