„Schlimmer als die Punks“
Tommi Eckart vom eleganten Pop-Duo 2raumwohnung über seine wilde Jugend in München, als er im Pfarrheim „abhottete“ und auch mal Saalschlachten mit Kuhaugen anzettelte
Sie sind ein deutsches Pop-Wunder und seit Jahren erfolgreich: 2raumwohnung aus Berlin mit der Sängerin Inga Humpe. Was kaum jemand weiß: Die andere Hälfte des Duos, Tommi Eckart (46), hat eine bewegte Münchner Vergangenheit. Die AZ fragte nach.
AZ: Herr Eckart, kaum eine andere deutsche Band wird so stark mit Berlin assoziiert wie 2raumwohnung. Doch angeblich haben Sie in Ihrer Jugend in München-Giesing im Pfarrheim Luftgitarre gespielt. Stimmt das?
TOMMI ECKART: Ja, ich wurde in Berlin geboren, bin aber im Münchner Osten aufgewachsen, in Ramersdorf und Giesing. Meine Eltern waren nach München gezogen, weil das damals die kommende Stadt war. In Berlin stand die Mauer.
Also in den 60ern?
Von 1967 bis 1989 war ich in München. Hier habe ich angefangen, Musik zu machen, hier hatte ich meine erste Band. Mit der haben wir im Milb gespielt, einem Jugendzentrum in Milbertshofen, in dem sich die ersten Punker und New-Waver trafen.
Und wo rockte die Luftgitarre?
Das war bei der evangelischen Gustav-Adolf-Kirche, am Ende der Klagenfurter Straße. Da gab’s Sonntagnachmittag sogenannte Pfarrheim-Partys, da wurden Rockscheiben aufgelegt und wir 12- bis 14-Jährigen hotteten dazu ab, wie man damals so schön sagte.
In den Archiven finden sich einige Perlen aus der Zeit, als Sie 17, 18 waren: Auftritte von Kapellen mit klingenden Namen wie Alternative Arschlöcher, Gorilla Aktiv oder Zack Zack Combo.
Ja genau! Das waren meine Bands so um ’82 herum. Mit den Alternativen Arschlöchern wollten wir schon keine Punks mehr sein, sondern eher Waver. Wir wollten noch schlimmer provozieren als die Punks. Bei jedem Konzert hatten wir ein anderes Konzept, um die Leute auf die Palme zu bringen.
Wie extrem waren Sie?
Protest war Bestandteil der ganzen Punk- und New-Wave-Kultur, man wollte alles in Frage stellen. Bei den Alternativen Arschlöchern hatten wir als blutjunge Gymnasiasten mal einen Auftritt vor richtigen, älteren Punks. Aus dem Bio-Unterricht nahmen wir Rinderaugen mit, mit denen haben wir im Konzert eine Art Saalschlacht angefangen.
Sie haben die Kuhaugen mit Tennisschlägern ins Publikum geschossen, das war schon wirklich herb…
Ja, so war das. Unten standen die eigentlich wilden Kerle, die Punks, und wir wollten zeigen, dass wir noch wilder waren als die Jungs mit den Iros und den Lederjacken.
Heißt das, Ihr Protest hatte einen künstlerischen Antrieb, sollte nicht nur Mode sein?
Ja, so kann man das sagen. Wir haben das weiter auf die Spitze getrieben, indem wir zum Beispiel besonders verpönte Hardrock-Titel spielten. Damals lernte ich auch meinen späteren Kompagnon Andreas Dorau kennen, als er auf seiner ersten Tour nach München kam.
Oder Lorenz Schröter als „Lorenz Lorenz“, der sich aufführte wie die Punkausgabe von Valentin…
Auch ein guter Freund – wir waren eine Gruppe von Leuten, die sich etwa ab 1980/81 für Musik und Popkultur interessierte, Konzerte veranstaltete, Kassetten herausbrachte. Eine sehr aktive und kreative Zeit, die mich stark geprägt hat. Ich denke gerne dran zurück. Inga dagegen empfand die 80er als stressig und kühl. Für mich in München war diese Zeit sehr angenehm. Auch durch den Kontakt zur Kunstszene, zu Wolfgang Flatz, zur Lothringer Straße, zur Galerie Schöttle. Es war immer was los und wir zogen am gleichen Strang.
Dann stimmt mal wieder ein München-Klischee: Selbst in den 80ern war das Leben hier leichter und luftiger…
Ja, das kann sein. Harte Aggression wie etwa in Hamburg, wo sich Punker und Popper und Rocker gegenseitig vermöbelten, gab es in München kaum. Es war sehr familiär.
Was findet sich von dem Gefühl von damals heute in der Musik von 2raumwohung?
Das Stück „Body Is Boss“ auf der neuen CD etwa – das ist eigentlich immer noch der gute alte Munich-Disco-Sound.
Aber die Giorgio–Moroder-Hits haben Sie doch hoffentlich wie alle anderen Punks inbrünstig gehasst, oder?
Nun, ich hätte das hassen sollen. Aber Moroder war einer meiner absoluten Favoriten, nur meine damaligen Freunde verstanden das nicht so recht.
Sind Sie heute noch Punk?
Gar nicht. Bei Inga heißt es: EinmalPunk, immerPunk. Das einzige, was mir aus der Zeit geblieben ist, ist Lust an musikalischen Veränderungen.
Die Münchner Musik-Szene wird von auswärts meist nur belächelt. Wie sehen Sie das, als jemand der schon seit langer Zeit in Berlin zuhause ist?
Es kommt stark drauf an, welche Phase man betrachtet. In den 70ern war München sehr progressiv, auch mit Queen und den Disko-Produktionen von Frank Farian. Zu New-Wave-Zeiten gab es aber doch deutlich weniger Bands als in anderen Städten.
Wenn Sie nun für ein Konzert mit 2raumwohnung nach München zurückkommen – ist das für Sie eine Rückkehr in die Heimat?
Schon, meine Mutter und meine Brüder leben noch hier, ich habe viele Freunde und zwei Patenkinder in München. Die Stadt hat für mich immer etwas buchstäblich Familiäres.
Michael Grill
2raumwohnung: „Lasso“ (EMI). Alten Aufnahmen von Eckarts frühen Münchner Punk-Bands sind auf der sehenswerten DVD „Mia san dageng“, erhältlich über www.aggressive-noise.de