Schleunigst in die Zeitlupe

Die Angst vor dem rasenden Chaos: R.E.M. legen nach vier Jahren Pause ihr neues Studio-Album vor. Es heißt »Accelerate«, bei der sich trotz brennenden Gitarren im Hintergrund, das Pop-Gefühl letztlich durchsetzt.
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Die Angst vor dem rasenden Chaos: R.E.M. legen nach vier Jahren Pause ihr neues Studio-Album vor. Es heißt »Accelerate«, bei der sich trotz brennenden Gitarren im Hintergrund, das Pop-Gefühl letztlich durchsetzt.

Blickt man über die Liste ihrer Hits, kann man recht genau den Zeitpunkt bestimmen, an dem R.E.M. im Zenit ihrer Karriere standen. Von „Losing My Religion“ bis „Man On The Moon“ – von 1991 bis 1992 war diese Gruppe unschlagbar. Und der Erfolg der amerikanischen Band wurde zum Anlageobjekt. Für die fantastische Summe von 80 Millionen US-Dollar kaufte Warner 1996 die nächsten zu erwartenden fünf Alben der Gruppe. Man kann Ähnlichkeiten zwischen dem Deal und dem zu dieser Zeit noch grassierenden Wahnsinn der New-Economy-Spekulanten sehen.

Jetzt haben R.E.M. ihr 14. Studioalbum namens „Accelerate“ veröffentlicht, das erste Studio-Werk nach vier Jahren Pause. Und immer noch erhofft man vor dem ersten Hören von dieser CD nur das Allerbeste. Jeder Pädagoge würde diesen Erwartungsdruck für einen Entwicklungshemmer halten. „Living Well Is The Best Revenge“ – der erste Song führt eine ungewohnt aggressive Band vor.

Ungewohnt aggressiv

Michael Stipe predigt sich ekstatisch durch eine Ein-Ton- Melodie. „Man-Sized Wreath“ und „Mr. Richards“: Rock scheint immer noch die beste Verteidigung gegen die Übermacht der bestehenden Verhältnisse zu sein. Und mit denen wollen sich R.E.M., auch was die Politik Amerikas betrifft, nicht zufriedengeben. „Until The Day Is Done“ benennt, bewaffnet mit einer akustischen Gitarre als Verweis auf den klassischen Protest- Song, die Brennpunkte des Landes: das Scheitern im Irak, die Krise der heimischen Wirtschaft. Allerdings gibt es Momente auf diesem Album, da nimmt Michael Stipe diese Welt einfach zu persönlich.

In „Hollow Man“ etwa besingt er sich in seiner Lieblingsrolle als kompliziertes Wesen – ein Gefangener des eigenen Kopfes, eine hohle Form, die wieder gefüllt werden will. Es ist diese ziellose Jammerigkeit, gepaart mit dem Gestus der flotten Pop- Ballade, mit dem sich R.E.M. als Band entpuppen, die sich in der Leidens-Pose unangenehm gefällt.

Zeitlupe im Moment der Beschleunigung

Der Titelsong der Platte allerdings stellt die Verbindung von privater Sehnsucht und großem Ganzen verblüffend auf den Kopf: „Accelerate to make it slow“, singt Stipe. Beschrieben ist das Umschlagen in Zeitlupe im Moment der größten Beschleunigung. Der Song beschreibt das Gefühl, in einem rasenden Chaos verschüttet zu werden.

Bei allen berstenden, brechenden, brennenden Gitarren im Hintergrund, setzt sich aber das Pop-Gefühl der Band gegen die Überforderung durch. „I’m incomplete“ gesteht Stipe – und klingt erleichtert.

Christian Jooß

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