Schlagfertig ins Leben
Die Sozial-Doku „Draußen bleiben“, die diese Woche in die Kinos kommt, hat das Leben ihrer Protagonistinnen verändert. Die Münchner Teenies Valentina und Suli drohten abzudriften, doch der Film kam zur rechten Zeit. Einiges ist im Leben der Flüchtlingskinder jedoch gleich geblieben. Ein Besuch.
Da war irgend so ein Kerl, der heißt Alexander Riedel oder so, und der will ’nen Film mit mir machen. Ich hab erst gedacht: Was will denn der Typ? Hey, geh weg!“
Valentina Llazicani hat bei dem Film schließlich doch mitgemacht. „Draußen bleiben“ heißt er (siehe Kritik, Seite 23) und zeigt ihr Leben und das ihrer Freundin Suli Kurban.
„Als ich den Film dann gesehen habe, letztes Jahr, habe ich mir gedacht: Oh mein Gott! Wie bin ich damals durch die Stadt gelaufen? Ich bin den ganzen Tag draußen gewesen. Und hab nicht mal meinen Abschluss bestanden. Weil ich den ganzen Tag nur rum gegeiert habe“, sagt Valentina. „Da hab ich gedacht: Das ist mein Leben? So kann ich nicht weitermachen.“ Valentina kommt aus dem Kosovo, Suli aus Uigurien in Nordwestchina. Sie haben sich im Flüchtlingsheim in Sendling kennen gelernt.
Sie sind älter geworden
Fast drei Jahre, nachdem Riedel seine ersten Aufnahmen mit Valentina und Suli machte, wirken die beiden sehr erwachsen. Natürlich sind sie älter geworden, 16 waren sie beide bei Drehbeginn, 18 und 19 Jahre alt sind sie heute. Valentina, die früher Suli von deren Schule abholte, weil sie ihre eigene schwänzte, lernt heute für den Hauptschulabschluss. „Mit sehr gutem Erfolg natürlich.“ Und als einziges Mädchen mit 22 Jungs in einer Klasse. Der Vertrag für eine Ausbildung zur Altenpflegerin ist schon unterschrieben.
Vor zwei Jahren musste sie für sechs Wochen in Jugendarrest. Widerstand gegen die Staatsgewalt – nachdem es eine Rangelei mit der Polizei gab, bei der sich auch ein Polizist an ihrer Zigarette verbrannt hatte. Auch nach dem Film regte sich Widerstand. In Valentina selbst: Gegen ihre Perspektivlosigkeit, die sie durch Schule schwänzen und Rumhängerei selbst mitverschuldet hat.
Sulis Familie konnte 2003 aus dem Flüchtlingsheim ausziehen, sie wurden als asylberechtigt anerkannt. Valentina lebt noch immer dort, mit Mutter und Bruder in zwei Zimmern. Die Llazicanis bekamen ihre Aufenthaltsgenehmigung stets nur um ein paar Monate verlängert, manchmal nur um wenige Wochen.
„Draußen bleiben“ zeigt den Alltag der Mädchen. Sie sind in dieser Gesellschaft geduldet, aber eigentlich nicht willkommen. Der Film zeigt auch gute Momente im Leben der beiden. Wenn sie mit ihrer Gang, den „Harras Ladies“ auf dem Fußballplatz stehen, wenn sie in der Stadt abhängen. „Draußen haben wir uns frei gefühlt: Draußen konnten wir machen, was wir wollten. Niemand konnte uns etwas sagen“, erzählt Suli.
Ein Dokumentarfilm verändert Wirklichkeit auch manchmal
So hatte Regisseur Alexander Riedel Einsicht in eine Welt, die sonst für Zuschauer schwer zugänglich ist. Die aus Bequemlichkeit aber auch gerne übersehen wird. „Draußen bleiben“ ist ein Dokumentarfilm. Als solcher soll er eine Wirklichkeit abbilden. Aber: Ein Dokumentarfilm verändert Wirklichkeit auch manchmal. Weil er Unbekanntes zeigt. Und so Reaktionen auslöst.
„Der Film hat uns gezeigt: Suli und Valentina, ihr seid so. So halt, wie ihr seid. Aber eigentlich machen wir ja nichts Gescheites. Eigentlich können wir mehr, wirklich“, meint Suli. Stimmt, und wie viel mehr: Suli spielte bei einigen Theaterprojekten mit, so wurde der Bayerische Rundfunk aufmerksam. Über die Proben ihres letzten Stücks machte sie Radioreportagen. Und wenn alles klappt, moderiert sie bald für die neue Jugendwelle des BR.
"Wir konnten uns selbst sehen!"
„Uns hat ,Draußen bleiben’ ein Stück reingeholt“, sagt Suli. In dem Film haben sie keine Rollen gespielt, waren sie selbst. Aber er brachte sie dazu, über ihre Rollen nachzudenken. Das sehen sie als Vorteil: „Wir konnten uns selbst sehen! Was andere gar nicht können!“
Aber nicht alles hat sich geändert. Valentina ist immer noch die direkte junge Frau mit der großen, schnellen Klappe, aus der schlagfertige Sprüche kommen, Suli immer noch der nachdenklichere Counterpart, der für Valentina oft übernimmt, wenn es etwas genauer zu erklären gibt.
Valentina hat immer noch keine endgültige Aufenthaltsgenehmigung. Ist weiter nur geduldet, zunächst für ein Jahr. Sie und ihre Familie wohnen immer noch im Flüchtlingsheim, auch wenn sie inzwischen theoretisch ausziehen dürften. „Wir schämen uns nicht dafür, dass wir die Küche teilen müssen oder das Bad.“
Und noch etwas: Noch immer stößt Valentina sich ab und zu an Autoritäten. Zum Interview kam sie ein wenig zu spät. Warum? „Oh Mann, hör’ auf. Nachsitzen, in der Schule halt.“ Moritz Baumstieger
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