Scharfes Thaicurry, gewürzt mit Salzsäure
Fazil Say spielte Peter Tschaikowskys Klavierkonzert. Zwei weitere Pianisten folgen in den nächsten Wochen.
Wenn er eins anhaben würde, wäre hemdsärmlig der richtige Ausdruck. Aber Fazil Say trägt nur ein Shirt unter dem Samtsakko, dessen Ärmel er immer wieder hochschiebt, um die Angriffe von 80 Mann Orchesters mit harten Tastenschlägen virtuos zu parieren.
Schon in den ersten Takten von Peter Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1 donnern krachende Akkorde des Solisten gegen eine Hornmelodie und das volle Orchester an. Hier geht es ums nackte Überleben. Der Komponist nannte das Stück einen „Kampf zweier ebenbürtiger Kräfte“, in dem der „kleine, unscheinbare, doch geistesstarke Gegner siegt, wenn der Pianist begabt ist“.
Fazil Say zeigt, dass es sich dabei um Schwerstarbeit handelt. Er trampelt, tanzt auf dem Hocker und schwitzt wie ein Bauarbeiter. Das ist nur deshalb der Erwähnung wert, weil es sich in völligem Einklang mit seinem Spiel befindet, wenn Say ins Orchester horcht und ihm spontan antwortet, als wäre ihm das von Tschaikowsky Komponierte eben erst eingefallen.
Die Aufführung hatte etwas von einer Improvisation. Say schärft das Stück rhythmisch zu, dehnt lyrische Episoden zugleich wie Kaugummi, als würde er ein grünes Thaicurry zusätzlich mit Salzsäure nachwürzen. Das ist einerseits stimmig, weil Say gegen die philharmonische Routine den Charakter eines wilden Fights wiederherstellt. Aber es gemahnt auch an Abgründe des Regietheaters, weil sich der Pianist bei unmissverständlich mit einem „pp“ bezeichneten Zartheiten nicht um diese Angaben schert.
Unkonventionell und ein wenig schlampig
Im Finale gab es einige recht schludrige Läufe. So sehr Says Deutung als Pop überzeugt, lässt sie einen doch nach einer elegant-nüchternen Tschaikowsky-Aufführung dürsten.
Das wird so schnell nicht der Fall sein: Eine Laune des Zufalls in der Tourneeplanung mehrerer Orchester führt aber zu einer reizvollen Vergleichsmöglichkeit: Am Samstag knöpft sich der Exzentriker Ivo Pogorelich das Stück mit dem Londoner Philharmonia Orchestra im Gasteig vor, und am 2. Dezember folgt ihm der Russe Nikolai Tokarev mit Musikern aus Monte Carlo.
Beiden ist ein seriöseres Rahmenprogramm als das Festival Orchestra Gstaad zu wünschen. Die wackeren Schweizer boten Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ eher behäbig im Tempo, nicht pannenfreie (Tuba in „Bydlo“) und lärmigem Orchestermuskelspiel. Man fürchtete schon, Maxim Vengerov sei über seinem Wechsel zum Taktstock unmusikalisch geworden. Dann brachte er für eine Beethoven-Romanze als Zugabe seine Violine mit. Und siehe: Er spielte subtil wie eh und je. Wirklich ein Jammer, dass er sich zum Dirigenten berufen fühlt.
Robert Braunmüller
Karten für die kommenden Aufführungen des Tschaikowsky-Konzerts unter Tel. 811 61 91
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