Scharfe Klampfen, feuchte Mädchenaugen
Er hat mit seinem neuen Album „Black And White America” einen Chart-Erfolg gelandet. Doch Charts zählen nicht viel im Download-Zeitalter. Aussagekräftiger ist der Live-Publikumszuspruch – und die Olympiahalle war bei weitem nicht ausverkauft beim Auftritt von Lenny Kravitz, dem Superstars der 90er Jahre. Fürs Konzert wurde die Arena deshalb erheblich verkleinert, nach offiziellen Angaben auf 9000 Plätze. Er ist also definitiv nicht mehr so groß wie er einmal war, der Rock-Soul-Funk-Alleskönner, umso spannender war die Frage, wie er damit umgehen würde. Mit einem Wort: phänomenal.
Vom ersten Ton an („Come On Get It”) gab es scharfe Klampfen, satte Bässe, ein herrliches Zusammenspiel aus Licht und Rhythmus sowie das sehr gute Gefühl, von einem musikbessesenen Menschenfänger umarmt zu werden. Ab „American Woman” war klar, dass an diesem Abend eine große Party rockt. Nur bei „Mr. Cab Driver” hinkte das Bandarrangement dem lässigen, aber fordernden Gesang etwas hinterher. Machte aber nix, machte alles trotzdem gute Laune.
Im Programm nur vier Songs vom neuen Album, doch das war richtig dosiert; hervorstechend der Titelsong mit einem biografisch eingefärbten Friedens- und Peacethema. Dann forderte Kravitz das Pop-Publikum mit einem langen Jazzsolo seines Trompeters heraus, fragte aber auch gleich fürsorglich „Are you alright?” Und bei „Stand By My Woman” konnte die Live-Kamera auf feuchte Mädchenaugen zoomen.
Dann kam der Hammer, nämlich diese Songfolge: „Stand” – „Rock And Roll Is Dead” – „Rock Star City Life” – „Where Are We Runnin’” – „Fly Away” – „Are You Gonna Go My Way”. Wer danach nicht auf den Beinen war, sollte sich physiotherapeutisch beraten lassen. Die Halle tobte, tanzte, taumelte.
Nach einer Stunde und 15 Minuten ging Kravitz von der Bühne. Er kam wieder für eine Zugabe, bestehend aus zwei Songs. Doch die hatten es so sehr in sich, dass er damit fast noch an die Marke von zwei Stunden Gesamtspielzeit herankam: „I Belong To You” in akustischer Lagerfeuerversion, und ein ins nahezu Unendliche gedehntes „Let Love Rule”, inklusive einem Bad in der Menge, bei der Kravitz die Arena dermaßen ausführlich umrundete, als wollte er tatsächlich mit jedem einzelnen Gast die Gesetze der Liebe feiern.
Das muss man so erst mal zelebrieren können. Es war herzig, es war ergreifend. „God bless ya! Peace!”, rief Kravitz zum Abschied. Gleichfalls, Alter! Und schreib mal wieder einen richtigen Hit!