„Scham als Antrieb“
Warum der Staatsopernintendant Nikolaus Bachler in Zeiten der Krise plötzlich Hochglanz- Verleger sein will
Die Zeit für Hochglanzmagazine ist sehr schlecht: Zuletzt wurden „Vanity Fair“ und „Park Avenue“ eingestellt, die Staatsoper aber geht an den Kiosk. Das Magazin „Max Joseph“ (Auflage 45000, Kaufpreis 4.50 Euro) soll mit Themenschwerpunkten Käufer locken. Noch aber belastet die thematische Wundertüte den Haushalt, wie Intendant Nikolaus Bachler bestätigt.
AZ: Herr Bachler, die Staatsoper publiziert ein 120 Seiten starkes Hochglanz-Magazin, in dem es ausschließlich um das Thema Scham geht. Haben Sie sich in letzter Zeit so oft schämen müssen?
NIKOLAUS BACHLER: Eigentlich habe ich mich an der Bayerischen Staatsoper bis jetzt für gar nix schämen müssen.
Aber das Thema lag nahe?
Dazu muss ich erklären, wie es zu „Max Joseph“ kam. Es gibt von Lübeck bis St. Gallen Haus- und Theaterzeitschriften, die sich fast ausschließlich mit den jeweiligen Häusern beschäftigen. Meine Auffassung von Theater ist, dass wir unsere Themen so weit wie möglich in die Gesellschaft hineintragen.
Oper sucht nach Themen der Zeit. Leben wir also in einer obszönen Zeit?
Wenn wir den Begriff weit fassen, dann leben wir in einer extrem obszönen Zeit. Oft sehen wir das Thema nur im sexuellen oder erotischen Sinn. Es hat aber auch eine Bedeutung im gesellschaftlichen oder sozialen Sinn. Wenn man sich anschaut, wie manche den Erdball schamlos ins Verderben zu reiten versuchen, dann wird das sehr schnell offensichtlich. Auf einer Opernbühne finden Sie diese Themen immer wieder.
Sie schreiben: Ohne Scham gibt es kein Theater. Ist das nicht sehr generell?
Absolut nicht. Kunst wendet sich an die Empfindsamkeit der Menschen. Und Scham ist fast immer ein Antrieb. Sie gehört zu den Grundelementen der menschlichen Psyche.
In „Max Joseph“ befinden sich einige Sex-Fotos, die man vor 20 Jahren mit Sicherheit nicht im Umfeld einer Staatsoper hätte drucken können.
Ich glaube, dass es ein Fortschritt innerhalb der Oper und des Musiktheaters ist, wenn wir Themen näher an uns heranholen und zeitgenössischer machen. Dabei kommt man der Scham natürlich nie aus. Aber die Frage ist für mich eher: Wie verarbeitet man die Scham?
Wo soll es eigentlich hinführen, wenn die Oper nun auch noch ein Mitspieler auf dem Zeitschriftenmarkt wird?
Ich wünsche mir, dass „Max Joseph“ eine Art Interessenten- und Liebhaberzeitschrift wird. Etwas für Menschen, die sich für bestimmte Denkarten interessieren. Es wird sicher kein kommerzielles Projekt werden können.
Stecken Sie Geld in das Heft?
Es trägt sich noch nicht selbst. Wir hoffen, dass es sich durch Verkaufserlöse und Anzeigen so etwa ab der vierten oder fünften Nummer finanziert.
Stoßen Sie in Lücken, die von etablierten Hochglanzmagazinen gelassen werden?
Der Markt wird immer kommerzieller. Es ist ja nicht so, dass es kulturorientierte Inhalte in jüngster Zeit leichter gehabt hätten. Da hat unser Haus natürlich gewisse Möglichkeiten.
Michael Grill