Saturnalische Volkshaftigkeit
Literatur und noch viel mehr: Mit ihrer Ausstellung „Vorstadtstenz und Wiesnbraut“ feiert auch die Monacensia 200 Jahre Oktoberfest als ewig tragikomische Suche nach dem Glück
Ihre schweren Leiber rammten und rempelten einander plump und unsanft an, aber es gab keinerlei Groll zwischen ihnen. Sie brüllten einander und aller Welt einen Gruß oder ein neckisches Wort zu“, schreibt Thomas Wolfe 1928. Am Ende ist der US-Schriftsteller blau, schlägt einem feisten Rotgesicht seinen Krug ins Gesicht, landet mit Schnittwunden und zertrümmerter Nase im Krankenhaus und resümmiert, er habe auf dem Oktoberfest mehr über die Menschen gelernt als sonstwo in Jahren.
Die Monacensia in Bogenhausen nähert sich dem 200. Wiesngeburtstag als Literaturarchiv natürlich vor allem literarisch. Klassisch sieht man original Karl-Valentin-Manuskripte oder Achternbuschs Drehbuch-Skizzen zu „Bierkampf“ (1977) in Vitrinen. An der Wand ist der Film auch mit Kopfhörer zu erleben – neben Syberbergs „Menschen auf dem Oktoberfest“ (1963) und dem fantastischen Oktoberfest-Stummfilm (1923) von Liesl Karlstadt und Valentin, in dem er versucht, seine Frau abzuschütteln, um sich dann mit seiner Geliebten Mizzi zu treffen.
Wiesn-Lieder in der Glücks-Ecke
So heißt die Ausstellung auch „Vorstadtstenz und Wiesnbraut“. Dazu wird man schon im Foyer-Treppenhaus empfangen von einer Fotografie von 1928: Eine Frau, die einsam vor der Holzgerüstkonstruktion einer Achterbahn steht und von Trauer durchdrungen scheint: „Das Oktoberfest ist ja selbst eine Achterbahnfahrt der Gefühle“, erklärt Kuratorin Elisabeth Tworek die Idee zur Ausstellung.
So gibt es eben auch eine kleine Glücks-Ecke, einem Schießstand nachempfunden, in der man alle Wiesnlieder hören kann, die schon in Ödön von Horvaths Wiesn-Tragödie „Kasimir und Karoline“ vorkommen. „Egal ob Horvath, Brecht oder Achternbusch oder Kroetz: Alle haben gewusst, wenn es den Menschen schlecht geht, entsteht eine gesellschaftliche Stimmung, die in die politische Katastrophe führen kann“, sagt Tworek neben dem Bild, auf dem man Brecht zusammen mit Valentin eine Volkssänger-Mortitaten-Bude auf der Wiesn betreiben sieht. In der Nähe hängt ein Bild mit großem Steckerlfisch-Grill: Die Menschen sind im makaberen Sinne nur Schaulustige – es sind verarmte Hungernde in der Wirtschaftskrise 1930.
Auf der Bierbank sind alle gleich
Aber weil das Oktoberfest alles in allem doch eine klassenlose – auf der Bierbank sind alle gleich – und heitere Angelegenheit bleibt, zieht sich durch die Räume eine Leuchtgirlanden-Kette wie eine Achterbahn, schreiben Schriftsteller über den Jahrmarkt der Exotik und der Erotik auf dieser „Monster-Kirmes, wo eine trotzig fidele Volkshaftigkeit ihre Saturnalien“ feiert, wie Thomas Mann – den man sich schwerlich auf der Wiesn vorstellen kann – schreibt. Während sein Sohn Klaus hier Männer („einen Bonzo-Typ“) anquatscht, wie seinem Tagebuch in der Vitrine zu entnehmen ist, das erst jetzt, 60 Jahre nach seinem Tod, öffentlich gemacht werden darf.
Die Fotos der Ausstellung sind fast alle privat, „damit man den Leuten ins Gesicht schaut“, wie Tworek es will. Und man merkt, so viel hat sich dann auch wieder nicht geändert. Nur: Trachten findet man in den letzten hundert Jahren auf der Wiesn fast nicht. Bis vor zwanzig Jahren hat sich keiner als Bauer verkleidet. Und wenn einer vom Land in die Stadt zur Wiesn fuhr, hat er keine Lederhosn angehabt, sondern seinen Loden-Anzug.
Adrian Prechtel
14. Juli bis 19. November, Montag bis Mittwoch von 9 bis 17 Uhr, Donnerstag von 10 bis 19 Uhr, Freitag von 9 bis 15 Uhr, Monacensia, Maria-Theresia-Straße 23