Salzburger Kraftakt

Der achtstündige Festspielmarathon „Faust I und II“ von Nicolas Stemann entlässt das Publikum erschöpft, aber glücklich  
Gabriella Lorenz |
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Das Unzulängliche, hier wird’s Ereignis, das Unbeschreibliche, hier ist’s getan“: Trefflicher als mit diesem selbstironisch verpoppten Schlusschor beim Musical-Finale lässt sich Nicolas Stemanns „Faust I + II“-Inszenierung bei den Salzburger Festspielen kaum auf den Nenner bringen.

„Faust I“ – das kann jedes Stadttheater. Doch dazu den ausufernden und als unspielbar geltenden Teil II von Johann Wolfgang von Goethe Opus magnum auf die Bühne zu bringen, das wagten zuletzt Burg-Chef Matthias Hartmann 2009 und Peter Stein mit seiner ungekürzten Zwei-Tage-Aufführung bei der Expo 2000. Stemann riskierte auf der Perner-Insel eine vierteilige Acht-Stunden-Version, deren Disparatheit durchaus unzulänglich und auch kaum beschreiblich ist. Jubel für die glänzenden Schauspieler und Buhs hielten sich bei der Premiere die Waage.

Eine der angekündigten neun Stunden hatte der Regisseur am letzten Tag noch gnädig eingespart. So ging das um 17 Uhr begonnene Event schon um 1.15 Uhr morgens zu Ende. Stemann will das ganze Epos als Traum und inneren Monolog Fausts erzählen, deshalb gibt es keine festen Rollenzuschreibungen: Jeder der im ersten Teil nur drei Schauspieler spielt – über lange Strecken auch solistisch – alle Figuren. Sebastian Rudolph eröffnet auf der fast leeren Bühne das Spiel mit einer furiosen Leistung von der Zueignung bis zur Pudel-Erscheinung (hier ein weißes Videobild auf schwarzer Wand). Dann übernimmt der ebenso fabelhafte Philipp Hochmair, nicht etwa als Mephistopheles, sondern als neuer Faust, der gerne nochmal von vorn begänne. Von nun an springen beide zwischen den Parts hin und her, wobei Mephisto sich zur Verdeutlichung rotleuchtende Teufelshörnchen aufsetzt. Als Gretchen ins Spiel kommt, liefert die virtuose Patrycia Ziolkowska als elegante Entertainer-Diva ebenfalls ein großes Solo. Das Konzept geht auf. Am stärksten sind aber doch die klaren Dialogszenen wie die Kerkerszene zwischen Rudolph und Ziolkowska.

Teil II zerlegt der Regisseur in drei eigenständige Stücke. Zunächst scheint er vor Johann Wolfgang von Goethe überbordender Bildfantasie zu kapitulieren: Er flüchtet in Kabarett und Parodie, plakative Videos und Puppenspiele im Chaos einer Probebühne. Der Running Gag heißt „Faust II – ungekürzt“, obwohl natürlich, wie auch in „Faust I“, jede Menge gestrichen ist. Johann Wolfgang von Goethe Beschreibung der Erfindung des Aktienwesens sehen wir als Dollarnoten mit Goethe-Porträt, der kaiserliche Karneval geht als Mummenschanz grotesker Masken fast nahtlos in die klassische Walpurgisnacht über – alles sehr oberflächlich. Da schwadroniert komisch ein philosophisches Duett, und Wagner alias Johann Wolfgang von Goethe erklärt sich auf Österreichisch zum Erfinder der Postdramatik. Die drei Protagonisten werden nun verstärkt durch die Schauspieler Barbara Nüsse, Joseph Ostendorf und Birte Schnöink, Sängerin Friederike Harmsen und drei Musiker sowie den Tänzer Franz Rogowski. Die Rollenwechsel und die Deutung als Traum werden dadurch allerdings unverständlich.

Fast konventionell auf hohem Ton beginnt die Lovestory zwischen Faust und der schönen Helena, dann aufgemotzt mit Slapsticks und einem putzigen Familienidyll samt Kinderspielplatz. Fausts großer, menschenverachtender Weltentwurf am Ende ist dominiert von einer live entstehenden grafischen Installation: Großstadt-Panoramen wachsen als Bühnenbild empor. Johann Wolfgang von Goethe visionäre Aktualität ist damit hinlänglich bewiesen. Beim großen Musical-Finale zu Fausts Erlösung wähnt man sich zwar im falschen Stück, aber es stimmt doch heiter und versöhnlich.

Perner-Insel, 30. Juli, 6., 7., 14., 15., 20., 21. August, 17 Uhr, Karten unter Telefon 0043/662-8045-500

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