Salzburg hat seinen Karajan wieder
Im Festspiele-„Otello“ von Salzburg trumpft Riccardo Muti mit den Wienern dämonisch auf. Er braucht keine Sänger. Ihm reicht für Verdis Eifersuchtstragödie das beste Opernorchester der Welt.
Riccardo Muti ist Otello. Er gebietet über den Sturm, den die Wiener Philharmoniker apokalyptisch entfesseln. Wie zum Jüngsten Gericht schmettern ihre Trompeten. Schneidend wie ein Säbel zwingen sie die Türken in der Schlacht in die Knie, um dann hell blitzend den Sieg ihres Helden zu feiern.
Zwischendrin rammte der Tenor ein Riesenschwert an die Rampe. Sein „Esultate!" ging in der 20. Parkettreihe unter. Muti braucht keine Sänger. Ihm reicht für Verdis Eifersuchtstragödie das beste Opernorchester der Welt. Die Wiener Celli schmeicheln hinterhältig wie Jago und unterstreichen seine Dämonie durch die Beimischung des Bogengeräuschs in der brutal-dunklen Streicher-Geste am Beginn des Credos. Der hellstimmige Carlos Álvarez hatte als Intrigant viel weniger Farben auf der Palette. Bei Cassios Beschreibung des Taschentuchs stickten die Musiker dafür ein Wunderwerk filigraner Klang-Zartheit.
Der Dirigent war alles, die Sänger nichts
Später kündete Mahler-haftes Blech vom Unheil. Mit krachenden, von Piccolo-Pfiffen vergifteten Orchesterschlägen verbreitete der Herrenluxusklangkörper mehr Furcht als der aufgenrollende Tenor auf der Bühne. Zum Gedenkjahr hat Salzburg seinen Karajan wieder, dessen Geist in Muti gefahren ist. Der Dirigent war alles, die Sänger nichts. Wie auf den Opernplatten des zweitberühmtesten Salzburgers überrumpelte das Orchester als Primadonna assoluta. Es spielte sich mit Attacken, grellen Bläsern und Lautstärke in den Vordergrund.
Leider ist „Otello" keine Tondichtung von Richard Strauss. Nur Marina Poplavskaya konnte sich gegen Mutis einschüchternden und zugleich hohlen Opern-Monumentalismus behaupten. Weil sie individuell zu gestalten wagte, wurde Desdemonas Unschuld zu Klang. Der mit gerecktem Kinn herumstaksenden Otello von Aleksandrs Antonenko fehlte die Kraft fürs Große Festspielhaus.
Buhs für den "richtigen" Otello
Sein gaumig-gepresstes Timbre ist Geschmackssache, die sängerische Phantasie hält sich in engen Grenzen. Der Lyrismus von „Come sei pallida" kurz vor dem Selbstmord des Mohren versöhnte einen Fan, der sich in der italienischen Provinz wähnte: Sein Bravogebrüll im Nachspiel verstopfte ihm das Ohr für Mutis Subtilität, der Otellos Katastrophe in unerhört fahlen Bläserakkorden über einem trübgraues Streichertremolo durchlebte.
Beim Salzburg-üblich kurzen, aber heftigen Beifall wurden Buhs für Antonenko nachgereicht. Sie trafen auch den Regisseur Stephen Langridge. Er inszenierte für Begriffsstutzige: Otello warf im Racheduett eine antike Statue an die Wand, aus der dann barbarischer Wüstensand hereinrieselte.
Zuvor wurde der letzte Überlebende der Türken noch dem wahren Glauben in Gestalt eines Kapuziners übergeben, ehe im dritten Akt die modernistische Glasplattenspielfläche als billiges Zeichen einer unabwendbaren Katastrophe zerbrach und der hellhäutige Mohr sich mit Dreck einschmierte. Karajan hätte darauf auch verzichtet. Aber das war schon der einzige Unterschied.
Robert Braunmüller
Wieder am 5., 10., 17., 21., 24. und 27. 8., 3Sat überträgt die Aufführung am 10.8., 20.15 Uhr