Salzburg: Die Netrebko im Pop-Prekariat
Regisseur Damiano Michieletto verlegt in Salzburg „La Bohème” ins Jahr 2012. Daniele Gatti dirigiert auswendig und vergisst die leisen Stellen – und Anna Netrebko darf verdient strahlen
Salzburg und Puccini – das ist keine Lovestory: Gérard Mortier hielt es mit Benjamin Britten, der die Musik „billig und leer” fand, und zeigte dem Komponisten deshalb die rote Karte. Nun soll der Bann gebrochen werden. Alexander Pereira macht’s möglich. Eine „Bohème” der Superlative war das erklärte Ziel. Doch zunächst herrschte ziemliche Verwirrung: Vor allem die riesigen Bühnenbilder von Paolo Fantin trugen dazu bei, dass die Akteure zu Puppen schrumpften.
Was aber zum Glück deren gesangliche Qualifikation in keinem Moment in Frage stellte. Star des Abends war – voraussehbar – Anna Netrebko. Sie hat die Mimi in München, Wien und New York gesungen, auf CD aufgenommen und mit Robert Dornhelm verfilmt. Die Stimme ist reifer, dunkler und schwerer geworden. Was ihr aber nicht zum Nachteil gereicht. Es darf geschwärmt werden, über die grandiose Bühnenpräsenz und die rührende Ernsthaftigkeit des musikalischen Ausdrucks.
Piotr Beczala als Rodolfo konnte weder im Spiel noch stimmlich mithalten. Obwohl er makellos phrasierte und die Höhen überwiegend souverän meisterte. Vor allem auf ihn hatte es der enttäuschende Dirigent Daniele Gatti abgesehen. In die herrlichsten Tenor-Töne hinein ließ er die Wiener Philharmoniker krachen, als ob Tschaikowsky angesagt gewesen wäre. Selten erklang „La Bohème” aus dem Orchestergraben so langatmig und derb wie diesmal. Gatti dirigierte auswendig, dabei müssen ihm wohl die vielen Piano-Vorschriften der Partitur abhanden gekommen sein.
Die Regie von Damiano Michieletto hatte die Handlung in das Jahr 2012 verlegt. Die Clique um Rodolfo gibt sich intellektuell, sammelt Vinyl-Platten. Mimi stößt dazu. Eigentlich wollte sie nur Feuer für ihren Joint haben. Die gigantischen Fensterflügel in der heruntergekommenen Wohnung spiegelten Ausweglosigkeit. Ein Prekariat der Popkultur hatte sich da versammelt, ohne Hoffnung, ohne Chance.
Dann das Kontrastprogramm: Auf dem Platz vor dem Café Momus herrschte kunterbuntes Comic-Vergnügen. Im Hintergrund der neueste Stadtplan von Paris, dazu Weihnachtsrummel, Santa Claus, riesige blaue Einkaufswagen, ein durch die Luft fliegender Spiderman und eine überaus kokette Musetta (Nino Machaidze). Diese Show-Enlage sollte wohl Konsumkritik ausdrücken. Womöglich war sie aber auch nur ein Zugeständnis an das Grand Theatre Shanghai, dem Koproduzenten. So kapitalistisch verseucht hat man sich Europa vorzustellen.
Am stärksten wirkte das dritte Bild, ein trostloser Bahnhof eines Pariser Vororts, davor eine billige Würstelbude. Die Liebenden sind am Ende ihres kurzen Weges angekommen. Die Eindringlichkeit, mit der Anna Netrebko hier ihren Kollegen Piotr Beczala mitriss, war herzbewegend – und zeigte erneut, welch’ großartige Künstlerin sie allem Glamour zum Trotz ist.
Die Regie bemüht, aber oberflächlich, ein Dirigent, der sich in eitler, unsensibel präsentierter Langeweile verzettelte, ein Weltklasseorchester, das es erheblich besser kann: Auch jene Sänger, die wie Massimo Cavalletti (Marcello) oder Carlo Colombara (Colline) diesmal nicht im Mittelpunkt standen, haben mehr drauf, als sie zeigten. So wurden zwar einige Erwartungen erfüllt, aber keine neuen Maßstäbe gesetzt.
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