Salz in der globalen Suppe
Liam Gillick hält im Münchner Kunstverein der postindustriellen Gesellschaft den Spiegel vor – und denkt über den Biennale-Pavillon 2009 nach.
Liam Gillick macht es dem Publikum nicht leicht: An seinen glatten Oberflächen scheint jede inhaltliche Aussage abzuperlen, seine hermetisch verschlossenen Raumkörper wirken, als ob sie jede Bedeutung verweigern. Die flexiblen Stellwände, Gitterstrukturen und variablen Boxen werfen den Blick des Betrachters auf sich selbst zurück. Zugleich ergeben sie ein modulares System, das in seiner klaren Farbigkeit an De Stijl, in der Formensprache an die Minimal Art erinnert. Das finden manche schick und belanglos, andere besonders subtil im Verhältnis zu Gillicks Gesellschaftsanalysen. Denn Gillick (44) arbeitet installativ und performativ; im Müncher Kunstverein präsentiert er nun unter dem verrätselten Titel „Mirrored Image: A Volvo Bar“ sein jüngstes Projekt.
Und der einstige „Young British Artist“, dem die Ironie seiner College-Kollegen auf die Nerven ging, tritt auch an, den deutschen Biennale-Pavillon in Venedig 2009 zu gestalten. Als das bekannt wurde, sorgte es allerdings für nicht ganz soviel Aufsehen, wie Kurator Nikolaus Schafhausen wohl erwartet hatte. Nur mancher stellte reflexhaft die Frage: Wieso spielt ein Brite für uns? Doch das Prinzip der Nationenpavillons hält nicht nur Schafhausen in Zeiten des Postnationalismus für obsolet. Gillick ist auch nicht der erste Nicht-Deutsche für Deutschland: Nam June Paik durfte 1993 mit Hans Haacke in die Lagune schippern.
Der postfordistischen Gesellschaft den Spiegel vorhalten
Gillicks Münchner Arbeit ist Teil der Retrospektive „Three Perspectives and a Short Szenario“. Er verwandelte den Kunstverein mittels bunter Stellwände in ein verwinkeltes Spielbrett der Begegnung. Volvo steht für Schweden, das einst in punkto soziale Arbeitsbedingungen Vorreiter war; doch leider wurde Volvo 1999 von Ford gekauft – somit hält Gillick hier der postfordistischen Gesellschaft den Spiegel vor. Er macht die Bar zum Schauplatz einer After-Work-Performance, in der 13 Männer und drei Frauen in drei Akten über sich selbst, ihr Sein und das Nichts reflektieren – und über Liam Gillick. Die Schauspieler wechseln stets die Rollen, um zu verdeutlichen, „dass wir nicht frei sind, sondern nur innerhalb einiger Varianten wählen können“, so Gillick.
Das gilt auch für den Künstler selbst: Die Aufgabe, Großbritannien zu repräsentieren hätte Gillick wohl abgelehnt, erklärt er; die Einladung der Deutschen ist ihm eine ehrenwerte Verpflichtung: „Ich denke, nicht ich als Person wurde eingeladen, sondern als Repräsentant meiner Generation: Einer Nachkriegsgeneration, die gelassen zurückblicken kann, und für die Nationalität keine tiefe Bedeutung mehr hat. Wichtiger sind die lokalen Identitäten in der globalen Suppe. Auch ich bin nur ein mittelalter Mann, der seine Wurzeln verloren hat.“ Aber er sei sich der Verantwortung bewusst und werde keine „Diskurs-Tea-Party“ im Nazi-Pavillon veranstalten. Das klingt dann doch ironisch.
Roberta De Righi
Kunstverein (Galeriestraße 4), bis 16. November, Di – Fr 12 bis 19, Sa/So 11 bis 18 Uhr; Performance So 5./19.10. und 2./16.11., jeweils 15 Uhr
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