Sänger fressen Worte
Händels Rückkehr: "Tamerlano"- Premiere an der Münchner Staatsoper. Die AZ hat mit Tenor John Mark Ainsley gesprochen, der die Titelrolle singt.
Nach Alden, Alden und nochmal Alden bringt die Staatsoper am Sonntag Händels „Tamerlano“ in einer gut abgehangenen Inszenierung von Pierre Audi heraus. Sie war zuvor bereits in Drottningholm und Amsterdam zu sehen. Ivor Bolton dirigiert, John Mark Ainsley singt die Rolle des Bajazet.
AZ: Herr Ainsley, Tenöre haben in Händels Opern wenig zu tun. Warum ist das in „Tamerlano“ anders?
JOHN MARK AINSLEY: Die Rolle wurde für Francesco Borosini komponiert. Der kam, wie bei berühmten Tenören üblich, spät zu den Proben nach London. Er hatte Gasparinis „Bajazet“ im Gepäck, eine andere Oper über denselben Stoff. Händel änderte seine Pläne und schrieb unter dem Eindruck von Borosinis dramatischer Stimme die Todesszene, in der ich nur noch eine schmutzige Unterhose trage.
Wer ist der Bajazet?
Er ist eine historische Figur: Der osmanische Sultan starb 1402 in der Gefangenschaft des mongolischen Eroberers Timur.
Das sieht nach einem „Clash of Civilisations“ aus, zumal auch noch ein Grieche auftritt.
Die Oper lässt sich politisch verstehen. Aber es steckt auch eine starke Familienkonstellation drin, auf die sich Pierre Audi konzentriert hat. Deshalb verlegte er die Handlung auch in Händels Zeit.
Sie singen bald eine zweite Vater- Rolle: Mozarts Idomeneo zur Eröffnung des restaurierten Cuvilliés-Theaters.
Die beiden sind ein gutes Paar. Idomeneo begeht Fehler, aber er fühlt sich schuldig. Bajazet bleibt uneinsichtig. Er bleibt als Gefangener immer König. Bis zur Pause schreit er viel herum und liebt seine Tochter etwas zu sehr. Dann stellt sich heraus, dass das Opfer Bajazet auch nur ein Tyrann wie Tamerlano ist.
Sind Sie selbst Vater?
Nein. Aber in beiden Opern muss ich mich damit auseinandersetzen. Es ist nicht einfach, Figuren zu spielen, die 20 Jahre älter sind als ich. Aber über Idomeneo spreche ich erst nächste Woche mit dem Regisseur Dieter Dorn.
Ist das Nationaltheater nicht für Händel zu groß?
Ich habe noch nie eine Vorstellung vom Zuschauerraum aus gehört. Zarte Farben und ganz leise Töne sind hier weniger angebracht. Aber beim Singen gibt es immer Kompromisse.
Borosini wurde nach Ende seiner Karriere Intendant. Käme das auch für Sie in Frage?
Viele Sänger dirigieren auch. Aber sie sind alle schlecht, mit Ausnahme von Peter Schreier. Wenn ich etwas anderes machen würde, dann inszenieren. Aber das ist kein ernster Plan. Falls es dazu käme, würde ich als Assistent das Handwerk von Grund auf lernen, weil ich mich oft über Filmregisseure in der Oper geärgert habe. Sie sind nur Touristen des Metiers.
Was machen Sie, wenn Sie nicht singen?
Ich führe ein normales Leben. Aber das sagen alle Sänger. Ich bin mit einem Mann verheiratet. Wir sind sechs Jahre zusammen und gehen viel ins Theater. Außerdem lese ich viel: Sänger fressen Worte.
Welches Buch steckt in Ihrer Tasche?
Jean Shinoda Bolens Deutung der Familienstrukturen von Wagners „Ring des Nibelungen“ aus der Sicht von C.G. Jungs Psychoanalyse.
Bereiten Sie eine Wagner- Rolle vor?
Nein. Ich bin ein lyrischer Tenor mit Möglichkeiten. Mein Fach sind Händel, Mozart, Britten, dazu etwas Janácek. Bei Wagner käme für mich nur Loge im „Rheingold“ in Frage. Ich finde die Figur interessant, aber es gab noch kein Angebot.
Robert Braunmüller
Nationaltheater, Premiere am Sonntag, 18.30 Uhr. Auch 19., 24., 28. März und 1. April, Tel: 21 85 19 20.