Rufus Wainwright: „All Days Are Nights: Songs For Lulu“
Rufus Wainwright und seine neue CD „All Days Are Nights: Songs For Lulu“
Das Piano klingelt: „Martha, it’s your brother calling“. Rufus Wainwrights Stimme steigt durch die Tonfolgen. Er ruft seine Schwester an. Will die Familie zusammenbringen. Die Mutter ist schwer krank. Im Januar starb Kate McGarrigle, Folksängerin und Ehefrau des zynisch-sensiblen Songwriters Loudon Wainwright III. Und auch im letzten Song von Rufus’ neuem Album „All Days Are Nights: Songs For Lulu“ reicht die Erfahrung weit über das Private hinaus. Die Mutter ist im Krankenhaus, die Schwester in der Oper, „I’m in love, but let’s not talk about it“. Der Sohn senkt die Akkorde auf die Tasten, so langsam zögernd, als könne jede Berührung die letzte sein.
Das neue Album konzentriert sich ausschließlich auf Klavier und Stimme. Keine Band. Kein Orchester. In der Vertonung von Shakespeares „Sonnet 20“ streicht Rufus mit der somnambulen Stimme des Salonmelancholikers über das Gesicht eines Mannes, entdeckt in dem Gegenüber, das die Frauen beglückt, doch die Idealform des Weiblichen – schwulste Poesie.
Eben hat er mit Regisseur Robert Wilson für eine Theaterinszenierung um Shakespears Sonette zusammengearbeitet. Und vor etwa einem Jahr hatte in Manchester Wainwrights Oper „Prima Donna“ Premiere – ein in seinem gigantischen Streben von der Kritik nicht wirklich freundlich aufgenommenes Werk. Aus der Perspektive der klassischen Szene muss dieser New Yorker Pop-Oskar-Wilde etwas verdächtig Unseriöses haben. In Lederhosen war er vor seinem „Album Release The Stars“ von 2007 in Berlin der Oper auf der Spur. So umarmen nur Amerikaner die deutsche Hochkultur.
Tatsächlich hatte sich sein Aufnahmewerk nach der Pop-Großtat „Want Two“ von 2004 in Bereiche verstiegen, die weniger mit Camp als eher mit Manierismus zu tun hatten. Mit den zwölf neuen Stücken hat sich Rufus von der Gefahr des Überflusses befreit und kann sich genau dadurch auf seinem Klavierhocker räkeln wie nie zuvor. „Sad With What I Have“ – hier ist es: das Spiel von Begehren und Zurückweisung, das immer auch eine Lebensermüdung in sich trägt. Und in keiner anderen Stimme als der von Rufus Wainwright schwingt die in dieser rubinrotweinträgen Dekadenz aus.
Christian Jooß
Rufus Wainwright: „All Days Are Nights: Songs For Lulu“ (Universal). Am 17. Mai ab 20.30 Uhr spielt Wainwright in der Muffathalle
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