Rote Fahne am Golfloch

Salzburger Festspiele: Gastspiel des Transiteatret Bergen mit Bertolt Brechts oratorischem Lehrstück „Die Maßnahme“ im republic. Eher selten aufgeführt, weil ein von den Erben 1997 aufgehobener Bann nachhallt, den Brecht eins selbst verhängte.
von  Abendzeitung

Salzburger Festspiele: Gastspiel des Transiteatret Bergen mit Bertolt Brechts oratorischem Lehrstück „Die Maßnahme“ im republic. Eher selten aufgeführt, weil ein von den Erben 1997 aufgehobener Bann nachhallt, den Brecht eins selbst verhängte.

Theoretisch ist „Die Maßnahme“ Brechtsprovokantester Text. Vier kommunistische Agitatoren entsorgen einen jungen Genossen in der Kalkgrube, weil er durch taktisch dumme Menschlichkeit die revolutionäre Sache gefährdet. Das Opfer selbst tritt nicht in Erscheinung: Es wird von den Tätern verkörpert, die dem Parteigericht seine Irrtümer vorspielen.

Zu Salzburgs Luxusfestspielen passt dieser rote „Jedermann“ wie die Faust aufs Auge. Bis heute streiten ergraute Brechtianer über das in biblischer Sprache gehaltene und mit Chören als antikische Tragödie geformte Lehrstück. Auf die Bühne dringt es kaum, weil ein von den Erben 1997 aufgehobener Bann nachhallt, den Brecht im Ärger über Missverständnisse bei Freund wie Feind eins selbst verhängte.

Eine fast unbekannte, verstaubte Musik

Praktisch ist „Die Maßnahme“ so aufregend wie ein Parteiausschlussverfahren im SPD-Unterbezirk. Schuld ist die grandios veraltete Musik von Hanns Eisler. Sein dem Schmalztenor zugedachter „Song von Angebot und Nachfrage“ für Klavier und jaulende Bläser überbietet den Zynismus von Kurt Weill zwar mühelos. Seine Chöre aber veredeln alles zu einer „Matthäuspassion“ im Dreigroschenformat, bei der proletarisches Blech und karges Schlagzeug einem Arbeitermassenchor nachtrompetet.

Die so gut wie unbekannte Musik erfreute des Historikers Herz. Der Theaterbesucher aber marschierte durchs verstaubteste aller Revolutionsmuseen. Eislers Zwanziger-Jahre-Patina überzuckert Brechts Schärfe, der chorische Parteitagsbombast liquidiert die irritierenden Mehrdeutigkeit des Texts, der weder dem Genossen noch der Partei Recht geben mag.

Ironiefreiheit der Brechterei

Einmal fand der Regisseur Tore Vagn Lid eine richtige Spur. Auf der unvermeidlichen Video-Leinwand flatterte eine rote Fahne. Mit wachsender Kamera-Entfernung stellte sich heraus, dass sie jedoch neben einem kapitalistischen Golfloch platziert war. Ansonsten regierte die bittere Ironiefreiheit der Brechterei. Beim Eintritt bekam jeder das Streiklied, das aber niemand mitsang. Warum auch ein Kärtchen mit dem Namen eines der drei Agitatoren im Kuvert war, blieb schleierhaft. Denn wir waren eigentlich der Kontrollchor der Partei, der auf der Tribüne unter den Zuschauern saß.

Die spontan wirkenden Einwürfe des Dirigenten Eberhard Kloke und eines Tontechnikers standen natürlich im Text, wie es früher auch bei kommunistischen Parteitagen üblich war. Wirkliche Debatten lässt die oratorische Form der Musik ohnehin nicht zu.

Wortfetzen zwischen Cohn-Bendit und Schäuble

Zur Liturgie des linken Hochamts gehörten auch die unvermeidlichen amerikanischen Panzer nebst einem Videoauftritt des Marktbösewichts Milton Friedman. Wortfetzen einer Debatte zwischen Daniel Cohn-Bendit und Wolfgang Schäuble bezogen die „Maßnahme“ ohne szenische Folgen auf die Debatte zum Staatsnotstand. Der Abwurf von Nahrung in einem Hungergebiet illustrierte den Irrtum des jungen Genossen, dessen Aktionismus nie zu den Ursachen der Misstände vordringt.

Veraltet wirkt die „Maßnahme“ wegen des gesungenen Lobs der Partei, deren stalinistischen Terror sie 1930 bestürzend vorausahnte. Brechts Stück stellt jedoch noch immer richtige Fragen zum Preis des Einzelnen für eine vielleicht richtige kollektive Tat. Um dorthin zu dringen, hätte die Inszenierung aber Eislers Antiquitäten opfern müssen.

Robert Braunmüller

9. und 10. 8., 20 Uhr, Karten Tel. 0043 662 8045 500

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