Romanze oder Revolte? Büchners Werk bleibt aktuell
Vor 200 Jahren kam Georg Büchner in Südhessen zur Welt. Trotz seines schmalen Werks gilt er als literarisches Genie. Seine Themen wie soziale Gerechtigkeit oder der Umgang mit psychisch Kranken sind heute so aktuell wie selten vorher.
Goddelau/Frankfurt – Als er stirbt, hat Georg Büchner drei Bühnenstücke geschrieben und ein weiteres fast fertig. Er hat ein Lustspiel veröffentlicht, eine Flugschrift publiziert, er ist geflohen und hat als Naturwissenschaftler aufhorchen lassen. Dabei rafft ihn der Typhus bereits im Alter von nur 23 Jahren dahin. Trotz des unerfüllten Lebens wird Büchner heute als Freiheitsheld der Literaturgeschichte und als bahnbrechender Autor des 19. Jahrhunderts gefeiert. Der bedeutendste deutsche Literaturpreis ist nach ihm benannt. Forscher versuchen Jahr für Jahr aufs Neue, den genauso aufmüpfigen wie genialen Büchner zu interpretieren.
Als sozialrevolutionäres Idol attraktiv ist Büchner noch heute, 200 Jahre nach seiner Geburt im kleinen hessischen Städtchen Goddelau. „Friede den Hütten, Krieg den Palästen!“, das ist sein wohl bekanntester Aufruf aus der Flugschrift „Hessischer Landbote“, die er 1834 veröffentlicht und an der er gescheitert ist. Auch zwei Jahrhunderte später findet sich der Spruch als Graffiti auf Wänden und gedruckt auf Flugblättern. Es sind Worte wie diese, die Büchners Ruf eines Revolutionärs gefestigt haben – auch wenn das die Experten nicht alle so gerne sehen.
„Büchner ist ein kontroverser Autor“, schränkt zum Beispiel Burghard Dedner ein, der Leiter der Büchner-Forschungsstelle an der Universität Marburg. Es gibt unterschiedliche Gruppen, die ihn für sich reklamieren. Dedner ist überzeugt, dass Büchners aufrührerischer Geist Zeit seines kurzen Lebens hellwach war: „Er war kein Revolutionär wie Lenin, der eine Weile in Zürich sitzt, Schach spielt und wartet, bis er wieder zurück zur Revolution kommen kann“, sagt Dedner. Büchner habe zwar Naturwissenschaftler werden wollen, aber das habe für ihn nicht ausgeschlossen, politisch tätig zu sein. „Hätte er mehr Zeit bekommen, hätte er auf allen drei Bühnen gespielt - der literarischen, der wissenschaftlichen und der politischen.“
Das, was bis heute von ihm bleibt, konzentriert sich auf wenige Jahre: Büchner kehrt vom Studium in Straßburg an die Universität Gießen zurück, schließt sich dort der radikalen Freiheitsbewegung an und gründet 1834 die „Gesellschaft für Menschenrechte“. Sein Ziel: Er will die Verhältnisse in Hessen ändern. Sein Mittel: die politische Flugschrift „Der Hessische Landbote“, mit der er zur Revolution gegen die Unterdrückung und gegen die Willkür der Fürsten aufrufen will.
Mit einigem Erfolg wird der „Landbote“ in den Dörfern um Gießen verbreitet. Als die Gruppe um Büchner auffliegt, kann sich der forsche Autor anders als viele Mitverschwörer den Behörden entziehen und über die französische Grenze nach Straßburg fliehen. Dort hatte er 1831 bereits mit dem Studium begonnen – und dort lebt auch seine Verlobte Minna Jaeglé. In der Literatur findet er nun ebenso ein Ventil wie in der Naturwissenschaft.
„Seine revolutionäre Kraft hat sich in die Poesie ergossen“, sagt Büchner-Biograf Hermann Kurzke. Seine großen Dichtungen seien alle nach der politischen Aktion entstanden – „und alle verarbeiten diese kleine Revolution, an der er aktiv teilgenommen hat“.
„Dantons Tod“, sein erstes großes Drama über das Scheitern der Französischen Revolution, ist bereits vor der Flucht innerhalb weniger Wochen zu Papier gebracht. Neben der Erzählung „Lenz“, in der es um einen unglücklichen Dichter geht, arbeitet Büchner am Lustspiel „Leonce und Lena“. Mit seinem Fragment „Woyzeck“ schreibt er zudem ein Jahr vor seinem Tod das erste soziale Drama der deutschen Literatur. Unvollendet hinterlassen, zählt es heute zu den wichtigsten und meistgespielten Stücken des deutschen Theaters. Ein weiteres Drama Büchners gilt als verschollen.
Nicht nur in der Literatur hinterlässt Büchner Spuren. Als Wissenschaftler schreibt er seine Doktorarbeit über das Nervensystem der Barben, er wird Privatdozent in Zürich und darf mit einer glanzvollen akademischen Karriere rechnen. Dort wohnt er in der Spiegelgasse 12 – Lenin sollte 80 Jahre später ins Haus nebenan einziehen. Doch Büchner erkrankt Anfang Februar 1837. Wenige Tage später, am 19. Februar, setzt eine Typhus-Erkrankung seinen kompromisslosen Texten, seinem Scharfsinn und seiner bis zur körperlichen Erschöpfung reichenden Arbeitswut jäh ein Ende.
Ein spärlicher Nachlass? „Nein, stellen sie sich vor, Johann Wolfgang von Goethe wäre in Büchners Alter gestorben“, widerspricht Experte Dedner. „Dann müssten wir uns auch fragen, was wir von ihm hätten an Werken und Daten.“ Ein Goethe-Drama bliebe, ein paar Gedichte vielleicht, der bedeutende Rest sei erst später gekommen. „Wir haben eigentlich unwahrscheinlich viele Daten über Büchner, bedenkt man, wie jung er war.“ Den „Woyzeck“ stellt Dedner in eine Reihe mit großen Werken der Weltliteratur wie Sophokles' „Ödipus“ und Shakespeares „Hamlet“.
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