Rohkost und freie Liebe in Höllriegelskreuth
Die Villa Stuck erinnert an den Lebensreformer und Maler Karl Wilhelm Diefenbach, genannt Kohlrabiapostel
In der Hauptstadt der Leberkäs’-Bewegung ist es noch immer eine versuchte Revolte, dem Fleischverzehr abzuschwören. Darum gelten Veganer, die sich sonderbar anziehen und mit entrücktem Blick durchs Glockenbachviertel schlurfen, als hip. Das Urbild dieses typisch Münchnerischen Kreativ-Vegetariers aber war der Lebensreformer und Maler Karl Wilhelm Diefenbach (1851 – 1913).
Die Villa Stuck erinnert jetzt mit einer spannenden Schau an den rebellischen Barfüßer mit Kutte und Walle-Mähne, der als erster Langhaar-Kommunarde Naturismus und freie Liebe propagierte – und vor dem Hofbräuhaus gegen den Tierverzehr wetterte. Doch im 19. Jahrhundert konnte man damit nicht beeindrucken: Diefenbach wurde als „Kohlrabi-Apostel“ verspottet, landete als Bürgerschreck im gesellschaftlichen Abseits.
Die Ausstellung zeichnet Diefenbachs abenteuerlichen Lebensweg nach, der ihn von Hessen nach München führte, wo er zunächst in der Foto-Anstalt Franz Hanfstaengls arbeitete und zeitweise an der Akademie studierte. Nach einer schweren Typhuserkrankung schwor er dem Tabak-, Alkohol- und Fleischkonsum ab. Und statt Hochzeitsnacht zelebrierte er im Februar 1882 ein Erweckungserlebnis allein auf dem Hohenpeißenberg.
Ein Nudist der ersten Stunde
Seine Frau bekam trotzdem drei Licht-Kinder von ihm: Helios, Stella und Lucidus. 1888 wurde Diefenbach, weil diese nackt ein Sonnenbad nahmen, wegen „öffentlichen Unfugs“ in einem der ersten Nudistenprozesse verurteilt. Aber im Kreis der Vertrauten benahm sich der nach außen Unbeugsame hässlich autoritär. 1890 löste sich die Kommune im Steinbruch bei Höllriegelskreuth, wo er mit der inzwischen verhassten Gattin, den Kindern und einigen Jüngern lebte, auf. 1892 zog er nach Wien, 1895 wanderte er mit den Kindern (die Frau war bereits tot) barfuß über die Alpen und landete 1900 auf Capri, wo er bis 1913 blieb.
Diefenbachs symbolistisch-esoterische Bilder zeigen meist schöne nackte Menschen, die eins mit der Natur sind. Sie verdüstern sich in späteren Jahren zu einsam-sturmumtosten Seelenlandschaften. Und zwei Selbstporträts offenbaren die Erkenntnis des eigenen Scheiterns: Das eine mit herauforderndem Blick und verschränkten Armen (nach 1882), das andere mit geschlossenen Augen und gesenktem Haupt aus dem Todesjahr.
Interessant sind nicht zuletzt die Viten der Diefenbach-Jünger: Gusto Gräser gründete die Künstlerkolonie auf dem „Monte Verità“, Frantisek Kupka ging in die Abstraktion, sein Liebling „Fidus“ Hugo Höppener biederte sich den Nazis an.
Roberta De Righi
Villa Stuck, bis 17.1., Di – So 11 bis 18 Uhr
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