Robert Harris' neuer Roman "Dictator"
Der Niedergang der römischen Republik, die Ermordung Caesars und Ciceros, gehören zu den spannendsten Stoffen der Antike, vor allem wenn man so modern, mitreißend und plastisch erzählt wie Robert Harris. Er legt mit „Dictator“ den Abschluss seiner Cicero-Trilogie vor. Ein historischer Krimi, der auch „Neueinsteiger“ begeistern wird.
AZ: Herr Harris, erinnern Sie sich daran, wie Sie sich fühlten, als Sie die Szene von Ciceros Ermordung schrieben? Die Trilogie hat Sie immerhin zwölf Jahre Ihres Lebens begleitet.
ROBERT HARRIS: Ehrlich gesagt habe ich zunächst eine große Erleichterung gefühlt, endlich den Schlusspunkt unter dieses Projekt zu setzen. Dann habe ich aber auch eine gewisse Trauer verspürt, nicht nur wegen Ciceros Schicksal, sondern, auch, weil ich nun gedanklich nicht mehr in seinem Haus wohne und ihn zum Senat begleite.
War Cicero so etwas wie ein Familienmitglied für Sie?
Meine Frau würde diese Frage mit Ja beantworten. Wir haben viel über ihn gesprochen, sie hat mich auch auf die Recherchereisen nach Rom, Tusculum und Formia begleitet. Und meine Tochter, der ich das Buch gewidmet habe, hat Alte Geschichte studiert.
Fast alle Ihre Bücher sind eine Erkundung der Natur der Macht.
Ich war schon immer interessiert an Geschichte und Politik. Diese Faszination hat sich nicht geändert, als ich mich entschloss, Schriftsteller zu werden. Das ist mein Gebiet.
Was haben Sie über Macht gelernt?
Ich denke, Macht ist so etwas wie Plutonium, ein unglaublich starkes Element und höchst destruktiv, wenn man ihm zu lange ausgesetzt ist. Macht muss umsichtig kontrolliert und begrenzt werden. Bei uns im Westen kann Macht glücklicherweise nur schrittweise verschoben werden. Aber damals konnten wenige Menschen, oder auch nur einer, die Macht komplett an sich reißen. Wir beschweren uns darüber, dass die meisten Politiker heute eher kleine und langweilige Figuren sind, aber wir haben sie auch dazu gemacht.
Wenn Sie darüber schreiben, wie Caesar die Macht ergreift, denken Sie dann auch an heute, an Putin, Orbán, Erdogan?
Nicht unbedingt bewusst. Aber die Römer haben die Vorlage geliefert, wie Macht eingesetzt wird in einer hoch entwickelten Gesellschaft, in der Faktoren wie die öffentliche Meinung, der Senat, die Gesetzgebung, die Wahlen, die Amtsbegrenzung ihren Einfluss hatten. Wir spiegeln uns im Westen noch immer darin – an der Republik natürlich, nicht am Reich.
Macht muss genutzt werden, das haben Caesars Mörder nicht verstanden?
Sie haben nach Caesars Tod den Moment verstreichen lassen und es versäumt, auch Marcus Antonius zu ermorden. Sie waren naiv. Sie dachten, allein mit der Ermordung Caesars könnten sie die Probleme lösen, würde sich die Republik quasi von selbst wieder herstellen. Sie hatten nicht bedacht, dass die Gesellschaft, die sie wollten, nur mit Gewalt wieder eingeführt werden konnte. Genau das berührt auch das Dilemma, das Ciceros Leben bestimmt: Um die Freiheit zu verteidigen, muss man unter Umständen auch die Freiheit begrenzen.
Ihre Cicero-Trilogie handelt auch von der Macht der Worte. War die Redefähigkeit damals wichtiger für einen politischen Menschen als heute?
Selbstverständlich. Wir reden über eine Gesellschaft mit viel weniger Einwohnern, viel weniger Kommunikationsmitteln. Eine große Rede konnte viel bewegen. Heute kann man sich schwer vorstellen, dass ein Politiker mit einer großen Rede noch das Steuer herumreißt. Die Nachrichtenmedien interessieren sich nicht für lange Reden. Das politische Schlachtfeld hat sich verschoben von der großen Rede zum Bild, zur Werbung, zum Infoschnipsel.
Von keinem Menschen aus jener Zeit gibt es so viele Aufzeichnungen wie von Cicero.
Ciceros Reden, seine Bücher, vor allem seine Briefe geben uns einen genauen Einblick in sein Denken. Ich hatte während der Arbeit an dem Projekt die 29-bändige Ausgabe ständig bei mir. Die ersten zwei Jahre habe ich nur gelesen, recherchiert und gar nichts geschrieben – außer natürlich die Notizen und Abschriften, die ich bei der Lektüre gemacht habe. Und die waren dann etwa doppelt so lang wie die drei Romane zusammengerechnet.
Hatten Sie nie Zweifel an dem Projekt?
Anfangs ja, weil Cicero ja nicht nur Staatsmann, sondern vor allem ein Philosoph war. Das ist nicht unbedingt ein Thema für einen Spannungsautor. Aber als ich mich mit seiner Philosophie befasste, merkte ich auch, wie das Denken ihn beeinflusst und verändert hat: Er hat Texte geschrieben, um Menschen die Angst vor dem Tod zu nehmen in einer der blutigsten Zeiten der römischen Geschichte. Der Schlüssel für mich war, die Perspektive von Ciceros Sklaven und engstem Begleiter Tiro einzunehmen. Er hatte eine einzigartige Position. Er lebte in Ciceros Familie, arbeite den ganzen Tag mit ihm zusammen. Es ist eine ungeheuer interessante Beziehung. Tiro hat ja nicht nur Ciceros Reden aufgeschrieben und wohl auch die Briefe verwahrt, er hat ja selbst ein wahrscheinlich dreibändiges Werk über Ciceros Leben verfasst. Es ging verloren. Es wäre für mich aber wahnsinnig beschämend, wenn dies doch noch irgendwo auftauchen sollte.
Die führenden Figuren in Ihrem fiebrigen Roman sind unglaublich ruhelos.
Sie waren „die verzweifelten Herren einer größeren Welt“, wie ich einen Cicero-Übersetzer zitiere. Sie waren körperlich und geistig ruhelos. Ich glaube, sie waren sich bewusst, in einer ganz besonderen Epoche zu leben. Man muss sich das einmal vorstellen: Caesar setzte mit 30 000 Soldaten nach England über, ein Land, dessen Existenz damals noch die meisten Römer anzweifelten. Das war so etwas wie eine Mondlandung und eine unglaubliche Logistik.
Ihr Caesar ist vor allem eines: blutrünstig.
Natürlich war er ein großer Mann, er konnte auch sehr charmant sein, wie wir aus Schilderungen wissen. Und was immer er tat, es war sehr beeindruckend. Aber aus heutiger Sichtweise war er ein Kriegsverbrecher. Er hat in wenigen Tagen 430 000 Germanen niedermetzeln lassen und sich damit gebrüstet. Zehntausende römische Bürger haben durch ihn ihr Leben verloren. Ich denke, am Ende, als er seinen dreijährigen Welteroberungszug plante, war Caesar nicht nur größenwahnsinnig, sondern schon verrückt.
Putin überlebt Merkel politisch
Politik ist immer die Geschichte von Aufstieg und Fall: Wer verliert denn aktuell am schnellsten die Macht? Assad, Merkel oder Putin?
Tja, ich gehe davon aus, dass höchstwahrscheinlich Assad derjenige ist, der zuerst fällt. Und dann Merkel, aber wahrscheinlich freiwillig. Putin hat noch eine lange Zeit an der Macht vor sich.
Sie stellen keine Spuren von Machtzerfall bei Putin fest?
Ich war noch letzte Woche in St. Petersburg und habe den Eindruck, dass er äußerst populär ist. Natürlich ist das nur ein persönlicher Eindruck, keine wissenschaftliche Untersuchung. Aber die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, fühlen sich besser als in den Zeiten von Gorbatschow oder Jelzin. Sie halten die Krim selbstverständlich für russisch. Sie glauben, dass die Ukraine voller Neonazis sei und die Nato den Konflikt anheize. Außerdem halten sie den Westen für überheblich und letztendlich schwach. Ich bin nicht Putins Anwalt, aber wir im Westen unterliegen einem Trugschluss: Wir glauben, dass alle anderen auch die Demokratie nach unseren Richtlinien wollen. Das ist nicht unbedingt der Fall.
Hat die EU schon ihren Zenit überschritten?
Es ist momentan schwer, dies anders zu sehen. Ich konnte von meiner Lesung in Wien nicht einmal mit dem Zug nach München fahren. Sehen Sie das als gutes Zeichen eines funktionierenden Europas?
Wenn uns die Briten bei der Flüchtlingspolitik mehr unterstützen würden...
Wir sind schon eine multikulturelle Nation. Merkels Flüchtlingspolitik ist nur aus der deutschen Psychologie heraus zu verstehen. Ich denke eher, dass dies eine ziemlich verrückte Entscheidung war, die nun einen globalen Menschenschlepperboom in Bewegung gesetzt hat. Jeder will zu denen gehören, die es noch in die EU hinein schaffen. Natürlich kann der Westen sagen, wir nehmen alle Flüchtlinge aus Irak, Syrien, Afghanistan und Eritrea auf. Aber die Politiker hätten dann schon zuvor die Bevölkerung konsultieren sollen.
Reden wir lieber über ein Problem, das sich leichter lösen lässt. Ein Gericht in Krakau hat die Auslieferung des Regisseurs Roman Polanski an die USA abgelehnt. Das bedeutet für Sie: Er kann dort endlich Ihren Roman „Intrige“ über die Dreyfus-Affäre verfilmen.
Ich habe diese Woche mit Roman telefoniert: Die Finanzierung steht, er will in Krakau im Studio drehen, die Außenaufnahmen werden in Paris gemacht. Die französische Regierung hat ein neues Programm zur Filmförderung aufgelegt. Ich arbeite wahnsinnig gerne mit Roman zusammen, wir kennen uns seit „Ghost“. Er ist ein Genie. Aber er ist 82 Jahre alt und möchte nicht mehr viel Zeit verstreichen lassen.
Ihre Cicero-Trilogie besteht ja nicht nur aus Philosophie, sondern auch aus Sex, Krieg, Intrige – ein Serien-Stoff wie „Borgia“ oder „Die Tudors“?
Genau. Wir haben die Rechte schon an einen TV-Sender verkauft. Aber ich bin beim Film schon häufig enttäuscht worden. Sony will seit einem Jahrzehnt „Pompeji“ machen, bis jetzt wurde nichts daraus. Dafür gibt es wohl bald eine Neuverfilmung von meinem Debüt „Vaterland“. Ich konzentriere mich lieber auf meine Bücher, das habe ich wenigstens selbst unter Kontrolle. Und ich denke auch, dass ich bessere Romane als Drehbücher schreibe.
Robert Harris: „Dictator“ (Heyne, 528 Seiten, 22.99 Euro)