Robert Borgmann über "Athena" im Marstall
Zuletzt inszenierte er in München vor drei Jahren Shakespeares "Hamlet". Heute hat Robert Borgmanns Bearbeitung der "Orestie" des Aischylos unter dem Titel "Athena" im Marstall Premiere. Die mörderische Familientragödie der Atriden aus dem alten Griechenland beschreibt eine Zeitenwende, während der sich das archaische Prinzip der Rache zur Herstellung von Gerechtigkeit ablöste zu Gunsten einer demokratisch fundierten und geregelt argumentierenden Rechtssprechung.
AZ: Herr Borgmann, Sie bezeichnen "Athena" als eine "musiktheatralische Installation". Der Begriff der "Installation" kommt ursprünglich aus der Bildenden Kunst. Was macht Ihre Inszenierung zur Installation?
Robert Borgmann: An dieser Form arbeite ich schon seit Längerem. Das liegt zum einen an der Wirkung nach außen: Erwartet der Zuschauer einen Schauspieler mit einem mehr oder weniger gut dargebotenen und von einem Regisseur eingerichteten Text? Oder erwartet man einen bildnerischen Zugang? Das wäre in meinem Fall so. Das Andere ist die Wirkung nach innen: Die Spieler*innen müssen bei dieser Produktion nicht das Gefühl haben, ich muss jetzt etwas spielen, sondern ich darf singen, tanzen oder ich darf Regisseur*in sein. Das ist eine andere Form von kollektiver Zusammenarbeit. Ich bin selbst als Musiker auf der Bühne.
Wie wird sich bei Ihnen die Antike anhören?
Meine Inspiration ist natürlich "Orestaia" von Iannis Xenakis, vor allem der dritte Teil, der sich an klassischer indischer Musik orientiert. Xenakis ist sowieso ein Steckenpferd von mir. Ich bin selbst auch Musiker und mache elektro-akustische Musik. In diesem Fall ist es eine Komposition für Zither, Gesang und Synthesizer.
Die "Orestie" ist schon mehrfach ins Deutsche übertragen worden. Was machte Walter Jens zum Übersetzer Ihrer Wahl?
Das war der Wunsch der Dramaturgie und es ist die musikalischste Fassung, die ich gelesen habe. Es besteht immer das Problem der Übertragung aus dem Altgriechischen und vor allem der unterschiedlichen Versformen. Der Chor spricht zum Beispiel in einem anderen Rhythmus als die Protagonisten. Das hat Walter Jens sehr musikalisch übersetzt. Inhaltlich hätte ich lieber die Fassung von Peter Stein gehabt, aber das ist eine Prosa-Übersetzung. Das Musikalische war mir dann wichtiger.
Im letzten Teil der "Orestie" wandeln sich die Erinnyen, die "Zornigen", zu den Eumeniden, den "Wohlwollenden". Was löst diese Veränderung aus?
Faktisch kommt es durch eine Göttin zustande, bei der man als erstes das Pronomen in Frage stellen muss, denn sie erklärt, dass sie keine Frau ist. Damit ist man schon in einem sehr modernen Diskurs. Deswegen entscheidet sie sich für die männliche Position und gibt Orest frei. Danach erfolgt die Umerziehung von der weiblichen Wut in eine dem Patriarchat wohlwollende Frauenrolle. Sie werden bestochen mit Land, Häusern und Mitteln.
Es scheint, Sie teilen nicht die landläufige Interpretation der "Orestie" als Grundsteinlegung von Demokratie und Rechtssprechung.
Da sind große Zweifel. Es ist ein Text, der für eine bestimmte Klasse athenischer Bürger geschrieben wurde, und mit "Bürger" sind etwa 35 Prozent der Männer in der Stadt gemeint. Allein in dieser Konstellation ist der Text für heute problematisch. Freundlich ausgedrückt liegt darin die Möglichkeit einer freien Entscheidung, vorausgesetzt, der Freiheitsbegriff wird vom Stück abgekoppelt. Denn im Stück ist der Freiheitsbegriff sehr problematisch. Frei wird nur Orest, der Mann im mittleren Alter. Es gibt ein paar Richter, die man als frei bezeichnen könnte. Die Frauen, die von den Erinnyen zu den Eumeniden umerzogen werden, sind es ganz sicher nicht. Es ist ein bisschen wie wenn in Russland gewählt wird. Die Abstimmung ist schon gut, aber das Ergebnis ist klar.
Sie werden auf der Homepage des Residenztheaters zitiert mit der Einschätzung, die Demokratie sei ein "künstlicher und virtueller Akt", für den wir bis heute "nicht bereit" seien. Sehen Sie sich durch die aktuellen Entwicklungen in Europa und in den USA bestätigt?
Das sehe ich schon in meinem Heimat-Bundesland Thüringen: Hochproblematische Zustände bei gleichzeitiger blinder und inkompetenter Aufrechterhaltung eines hohl gewordenen Begriffs. Das Problem, das ich im Moment habe, ist, dass ich die Regierungen kritisieren kann, aber die Demokratie wahnsinnig wichtig finde. Man muss dabei aufpassen, nicht in einen rechtsextremen oder auch linksextremen Diskurs zu geraten. Das ist eine sehr schwierige Auseinandersetzung, die ich mit mir selbst führe und mit den Umständen, in denen wir leben. Alles, was gerade passiert: Nawalny, Orban, Erdogan, Donald Trump, der vielleicht wieder amerikanischer Präsident werden wird, Björn Höcke, der, wenn alles so weiter läuft wie bisher, Ministerpräsident in Thüringen sein könnte, und so weiter. Die Liste ist lang.
Wo hat das Theater in diesem Zusammenhang seine Aufgabe?
Mir scheint, die Demokratie ist gerade in einer Midlifecrisis und das Problem ist, dass man danach nicht mehr jünger wird. Da muss ein Jungbrunnen her, aber da ich kein Politiker bin, sondern ein Theatermacher, kann ich mir das nur anschauen und auf der Bühne transformieren. Man muss sich mit seiner Gegenwart auseinandersetzen. Wenn das keine politische Aufgabe ist, dann weiß ich es auch nicht.
Marstall, Premiere heute, 20 Uhr, nächste Vorstellungen am Sonntag, 19 Uhr, 17. März, 19 Uhr, 18. März, 20 Uhr, Telefon 2185 1940
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