„Ritter, Dene, Voss“: In Sauce ertränkt
Im Cuvilliés Theater inszenierte Antoine Uitdehaag „Ritter, Dene, Voss“ von Thomas Bernhard. Großer Jubel für die drei brillanten Darsteller der großbürgerlichen Familienhölle
In einem sind sie sich einig. „Der Geschwisterkrüppel zerstört uns“, sagt die jüngere Schwester über den Bruder. Ludwig weiß seinerseits: „Die Schwestern sind meine Zerstörerinnen. Verwandtschaft bedeutet den Tod.“ Die Familienhölle, die Thomas Bernhard 1986 in „Ritter, Dene, Voss“ (benannt nach den Schauspielern der Uraufführung) beschrieb, hat Antoine Uitdehaag im Cuvilliés Theater als opulente Lebensmahlzeit inszeniert, bei der viel Porzellan zerschlagen wird, aber alles beim Alten bleibt. Begeisterter Jubel für die brillanten Schauspieler Stefan Hunstein, Barbara Melzl und Ulrike Willenbacher. Die großbürgerliche Familiengruft mit Stilmöbeln und Ahnengalerie stellt Bühnenbildner Tom Schenk zwischen dunklen Stofftapeten auf einen Schachbrett-Marmorboden. Die reichen Schwestern Worringer sind beide Schauspielerinnen. Die ältere hat den verrückten Ludwig nach Jahren aus der Psychiatrie nach Hause geholt und will ihn nun hier versorgen.
Regisseur Antoine Uitdehaag hat das in quälerischer Hassliebe verbundene Trio infernale als Familienpsycho- gramm mit viel Komik inszeniert und auch den Tschechow in Bernhard entdeckt. Die Darsteller machen aus den Figuren exquisite drei Solitäre. Ulrike Willenbacher spielt die neurotische, perfekte Hausfrau: Mit blütenweißer Küchenschürze deckt sie pedantisch den Tisch, bemuttert den Bruder und erdrückt ihn mit ihrer Überfürsorglichkeit. Gluckenhaft gießt sie ihm beim Essen unaufhörlich Sauce nach, während er darüber räsonniert, dass schon die Mutter alle seine guten Gedanken in Saucen ertränkt habe.
Die jüngere ist das Gegenteil. Barbara Melzl spielt mit hochartifizieller Affektiertheit einen gelangweilten Monroe-Vamp, immer eine Zigarette und ein Glas Wein in der Hand. Im rückenfreien rosa Sommerkleid und lila Pumps (Kostüme: Ann Poppel) räkelt sie sich geziert auf dem Sofa, schwankt unsicher mit zunehmendem Weingenuss und bietet sich lasziv dem Bruder zum inzestuösen Kuss an. Zwischen diesen beiden zerreibt sich Ludwig, der geniale Philosoph, der ebenso klarsichtig wie wahnsinnig ist. Mit fahlem Gesicht, nervös und fahrig, steigert sich Stefan Hunstein in Ludwigs große Hass-Suada über Kunst, Theater, Ärzte und vor allem Familie. Seine Erregung wächst zum grandiosen Furor, wenn er die Brandteigkrapfen in sich hineinstopft, sie in hohem Bogen ausspuckt, das Tischtuch herunterreißt und den Tisch umkippt. Man spürt die innere Not, aus der er sich frei denken und dem Leben einen Sinn geben will. Er hängt die Ahnengalerie ab und kopfüber wieder auf, aber er verändert damit nichts am Schrecken ohne Ende in dieser geschlossenen Familienanstalt.
Gabriella Lorenz
Cuvilliés Theater, 23., 29., Dez. (19.30 Uhr), 1. Jan. (19 Uhr), 5., 16., 23., 25., 30. Jan. (19.30 Uhr), Tel. 2185 1940