Richard Strauss von heute
Ein Dirigent erscheint und gibt den Einsatz für ein (gesampeltes) Streichorchester mit dichten, herb-süffigen Klängen irgendwo zwischen der "Verklärten Nacht" von Arnold Schönberg und dem späten Richard Strauss. Auch die Kantilenen der über die Bühne schreitenden Sopranistin weisen in diese Richtung. Und wie bei den großen Vorbildern versteht man nicht ein Wort, bis auf "Eis". Ja, ein Hauch von Turandot war auch dabei. Und auch irgendwas mit Nacht.
Da ist man dann doch platt, so etwas zwischen Kunst und Camp zu erleben: in einem Souterrain am Kosttor und als Ergebnis einer von Laura Olivi angeleiteten Schreibwerkstatt von Studierenden der Ludwig-Maximilians-Universität und der Hochschule für Musik und Theater auf der Studiobühne des Instituts für Theaterwissenschaft. Diese "Playlist" gibt es nun im dritten Jahr, und als Neuerung werden die kurzen Stücke in den nächsten Tagen in den Ionischen Sälen des Nationaltheaters als Magentratzerl zu den Festspielvorstellungen gespielt.
Die Bandbreite ist ziemlich groß. Marko Jukićs frühe und überreife Spätromantik markiert ein Extrem. Ebenfalls eher konservativ, im Bereich des Klavierlieds, bleibt ein Ehe-Duo von Torbjørn Heide Arnesen. Der vertonte aber - stilistisch komplett anders - auch noch das absurde Gewirr von Gesprächsschnitzeln im öffentlichen Nahverkehr.
Der Text stellt die gute alte Sprachkrise und das Nicht-Verstehen ins Zentrum. Beliebt scheinen beim Nachwuchs gesellschaftliche Dystopien und das Thema Selbstoptimierung (Hanyu Xiao, Yann Wideshausen): Zwei Szenen, denen es nicht völlig glückte, die kritische Schärfe mit einem leichten Ton zusammenzubringen. Interessant ist aber, wie geschickt das ungewöhnliche Potenzial einer dem Neuen aufgeschlossenen Zitherklasse an der Musikhochschule für das Instrumentarium genutzt wird.
Zwei der Szenen tendierten zur Komik. "Avocados werden braun am Gardasee" (Yann Windeshausen) kontrastiert den elegischen Gesang einer Art Seejungfrau mit dem gesprochenen Party-Geplapper besserer Kreise. Das hat leider nur den Nachteil, dass man derlei einfach schon zu oft gehört hat.
Den stärksten Eindruck hinterließ doch das sprechende Gehirn (Text: Elena Nieberle und Rosa Tempel, Musik: Hanyu Xiao) der allerersten Szene. Sie brachte innere Stimmen einer etwas gestressten und zugleich hochneurotischen Person auf dem Weg zur Arbeit zum Sprechen. Der zur Gedankenstrom-Prosa tendierende Text war geschickt als Dialog mehrerer Figuren arrangiert. Die Musik spielte eine Nebenrolle: Erst ganz am Ende stand ein kurzes Ensemble.
Der Abend nannte sich bescheiden "szenische Lesung", weil mit Notenständern und Tablets hantiert wurde (Regie: Anna Sophie Kapsner, Joël-Conrad Hieronymus). Tatsächlich haben alle Szenen eine runde theatralische Form. "Platz 18.333" arbeitete geschickt mit Masken.
Als gutes Zeichen lesen wir, dass auf die im Neuen Musiktheater zuletzt allgegenwärtige antike Mythologie zugunsten von realitätsnahen Alltagsszenen verzichtet wurde. Originelles Scheitern und langweilige fünf Minuten gehören bei einer "Autor:innenwerkstatt" dazu. Es hielt sich aber in Grenzen. Und auch um den instrumentalen wie singenden Nachwuchs braucht man sich keine Sorgen zu machen. Dass die Arbeiten nach den drei Aufführungen auf der Studiobühne nun einem größeren Publikum zugänglich werden, ist wohlverdient.
5. bis 14. Juli, Ionische Säle, jeweils eine Stunde vor Beginn der Abendvorstellung im Nationaltheater
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