Richard Ford: Flüchtige Glücksgefühle

Richard Ford kehrt mit "Valentinstag" noch einmal zu seinem großen Alltagshelden Frank Bascombe zurück
Michael Stadler |
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Der amerikanische Autor Richard Ford.
Foto: Peter Andreas Hassiepen Der amerikanische Autor Richard Ford.

Mit wachsendem Alter stellt sich die Frage, ob man ein glückliches Leben führt, offenbar mit ebenfalls wachsender Vehemenz. Zumindest geht das so Frank Bascombe, der zentralen Romanfigur von Richard Ford. In dem neuen Bascombe-Roman "Valentinstag" sind dem Glück gleich zwei Kapitel gewidmet, am Anfang und am Ende des Buches. "Bist du glücklich?" hat einst Franks Mutter ihren Sohn gefragt, sie lag dabei auf dem Sterbebett. Dem Nachwuchs blieb nichts anderes übrig, als sie bejahend anzulügen.

Das Glück lässt sich nun mal nicht greifen, ist ein flüchtiges Ding, wovon ja auch die Literatur lebt: Was gäbe es Langweiligeres, als einen Menschen auf der Sonnenseite des Lebens zu beobachten? Richard Ford, der große US-Autor, der seine Leserschaft mit den Bascombe-Romanen sicherlich hin und wieder beglückte, ist heute 79 Jahre alt. Sein Held, den er erstmals 1986 in "Der Sportreporter" auftreten ließ, ist etwas jünger, 74 Jahre, und hat ein bewegtes Leben, in das Ford immer wieder eintauchte, bevorzugt an Feiertagen, die ja auch stets ein (trügerisches) Versprechen von Familienglück in sich tragen.

"Unabhängigkeitstag", erschienen 1995, brachte Ford als erstem Schriftsteller überhaupt sowohl den Pulitzer-Preis als auch den Pen/Faulkner Award ein. Zwölf Jahre später erkundete er gemeinsam mit Frank an Thanksgiving "Die Lage des Landes" (2007). Mit "Frank" (2015) legte er vier Novellen vor, in denen sein Held sich nicht nur mit dem privaten Unglück seiner Mitmenschen (und seinem eigenen) auseinandersetzte, sondern auch die Verwüstungen von Hurrikan Sandy direkt in Augenschein nahm.

Aus dem wortgewandten Frank, der ähnlich wie Richard Ford sich einige Zeit lang als Sportreporter verdingt hat, ist längst ein Immobilienmakler geworden, der auch in "Valentinstag" alle möglichen Gebäude bis ins schräge Detail hinein zu beschreiben versteht, dabei aber nun als halbwegs agiler Senior nicht viel mehr als Sekretärsarbeit für seinen Ex-Angestellten, den dauerfröhlichen, auch namentlich in den US-Mainstream integrierten Tibeter Mike Mahoney leistet.

Unter dem Firmennamen "Hausflüsterer" bedient Mike, unterstützt von Frank, Kunden, die auf der Suche nach gleichsam erlesenen Immobilien sind, dabei aber aus verschiedenen Gründen anonym bleiben wollen. Dass diese Geschäfteleien nicht ganz koscher wirken, gehört zum humoristischen Ton des Romans, der ähnlich wie seine Vorgänger von der lockeren, allzeit für alltagsphilosophische Betrachtungen und ironische Pointen bereite Erzählstimme Bascombes lebt.

Existenzielle Schwere möchte Frank, der in seiner Freizeit Heidegger liest, einfach nicht zulassen. "Wie viel leichtfüßiger wäre die Welt", philosophiert er einmal, "wenn wir nur begreifen würden, dass nichts von dem, was wir an jedem Tag so tun, weder auf lange noch auf kurze Sicht den allerkleinsten Furz von einem Unterschied macht." Dabei hat Frank schon einiges hinter sich, vom Prostatakrebs bis zum Schlaganfall; ein Loch im Herzen hat er zudem, nicht nur im übertragenen Sinne. Zwei Scheidungen und viele wohl erinnerte Affären zeugen davon, dass er ein Womanizer war (der als Senior auf eher tragikomische Weise an den Fortbestand seiner Anziehungskraft glaubt), aber mit seinen Partnerinnen nicht dauerhaft auskam (während Ford selbst seit 1968 mit Kristina Hensley verheiratet ist, der er auch diesen Roman widmet).

Zu den schweren Schicksalsschlägen in Franks Leben gehört der frühe Unfalltod seines ersten Sohnes Ralph. Nun leidet sein zweiter, gerade 47-jährige Sohn Paul an der unheilbaren Nervenkrankheit ALS, sitzt deswegen im Rollstuhl und droht, weil er unter einer besonders schweren ALS-Variante leidet, ebenfalls bald zu sterben. Was eine bitterkomische Ausgangslage für den Roman ist: Der 74-jährige Frank wird zum Pfleger seines Sohnes, dessen Lebenshorizont noch schmaler als sein eigener erscheint.

Nach Ablauf einer Spezialbehandlung in der renommierten Mayo-Klinik in Rochester, Minnesota, möchte Frank mit Paul auf einen letzten Roadtrip gehen, der sie von Rochester zum Mount Rushmore führen soll, jenem Bergmassiv in South Dakota, in dem die Köpfe der US-Präsidenten Washington, Jefferson, Roosevelt und Lincoln eingearbeitet wurden. Es ist eine Reise durch den Mittleren Westen, bei tiefster Kälte in einem Wohnmobil, das im Original den Namen "Windbreaker", in der von Frank Heibert wunderbar freiheitssinnig übersetzten Fassung "Warmer Wind" trägt und den oft zu albernen Scherzen aufgelegten Sohn Paul zu Furzgeräuschen animiert.

Bis das Wohnmobil losfährt, vergeht jedoch die gesamte erste Hälfte des Romans. Mit der Seelenruhe eines Grandseigneurs der US-Literatur nimmt Richard Ford sich Zeit für die Exposition, für kleinere Handlungshaken und pointierte Beschreibungen, wobei Frank Menschen ähnlich wie Gebäude mit scharfer Zunge skizziert. Auch der Tod bedarf hier keiner sprachlichen Vorsicht: Wie ein Comedy-Duo werfen sich Frank und Paul schwarzhumorige Pointen zu, witzeln die darunterliegende Angst weg und lenken dabei vom Wesentlichen ab. "Be Mine" heißt der Roman im Original, es ist ein Zitat von einer Valentinskarte und kündet von einem Besitzanspruch, der in wohl jeder Liebe steckt. Die Karte, die Paul seinem Vater schenkt, ist wieder nicht ganz ernst gemeint. Dennoch werden Franks Augen kurz feucht.

Glücksgefühle ergeben sich am Mount Rushmore, nach einer gemäßigt turbulenten Reise mit Stopps an kuriosen Sehenswürdigkeiten wie dem "einzigen Mais-Palast der Welt" und Übernachtungen in herrlich trostlosen Motels natürlich nicht. Vielmehr findet Ford da in der Beschreibung des Touristenrummels und den Reaktionen von Vater und Sohn angesichts der vier Präsidentenköpfe zur großen, heiteren Form.

Immerhin: Ein bisschen Glück lässt Ford an Frank und der Leserschaft hin und wieder vorbeirauschen, etwa, wenn Frank sich auf der Straße von allem Druck befreit fühlt: "Aber jetzt, wo ich fahre, während mein Sohn neben mir schläft, gibt es nur wenig, was ich tun muss, nur den Dodge durch den Abend navigieren, als wäre ich allein und dürfte frei und ohne Widerspruch träumen."

Richard Ford stellt "Valentinstag" (Hanser Berlin, 384 Seiten, 28 Euro) am 25. Oktober im Literaturhaus vor

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