Richard David Precht: Mit Hirn und Hormonen

Der Bestsellerautor und Modephilosoph der Stunde zeigt im Literaturhaus, dass Liebe vor allem eloquent macht
von  Abendzeitung

Der Bestsellerautor und Modephilosoph der Stunde zeigt im Literaturhaus, dass Liebe vor allem eloquent macht

Er kam, sah, und siegte – dabei las Richard David Precht kein einziges Wort aus seinem Buch „Liebe“ vor. Er hatte es nicht mal dabei zu seiner Lesung im Literaturhaus. Der 44-Jährige bestieg mit dynamischem Schritt das Podium, um sich dann lässig auf den Tisch zu schwingen. Die Beine überschlagen, das Mikro in der Hand, brauchte er keine halbe Minute, um den ausverkauften Saal für sich zu gewinnen.

„Ich Freude mich, dass sie heute so zahlreich erschienen sind. Das ist keineswegs selbstverständlich“, eröffnete er, „denn in der Liebe sind wir ja alle Experten.“ Die ersten erwartungsfrohen Lacher aus den Reihen. „Wir waren alle schon einmal verliebt, sind es vielleicht gerade – oder haben zumindest vor, uns irgendwann einmal wieder zu verlieben.“

800000 Exemplare seiner süffisanten Sinnsuche „Wer bin ich - und wenn ja wie viele?“ hat der Modeautor der Stunde verkauft, der Streifzug durch das neue Werk „Liebe – ein unordentliches Gefühl“ (Goldmann) begann mit dem vergifteten Lob auf die Mann-Frau-Klischee-Bestseller als Beziehungsretter: „Egal, was los ist: Es liegt eben daran, dass er ein Mann ist und sie eine Frau. Das ist die Generalabsolution unserer Zeit“.

Gekleidet in einen gut sitzenden Anzug, die Haare locker gescheitelt, so beeindruckte der hochgewachsene Philosoph mit den Pianistenhänden den weiblichen Teil seiner Zuhörer. Und die Frauen, die an seinen vollen Lippen hingen, stellten gut Dreiviertel des Saalpublikums: Ein paar Studentinnen, Mittvierzigerinnen, die ihre Männer mitgeschleift hatten und Seniorinnen, die sich kichernd verschwörerische Seitenblicke zuwarfen.

Precht sprang von der Evolutionsbiologie zum Hormonhaushalt, beleuchtete verständlich und äußerst unterhaltsam seine Thesen und entschuldigte sich für hässliche Worte wie „Phenylethylamin“.

Dabei wanderten seine graublauen Augen durch die Stuhlreihen, die Stimme eindringlich, die freie Hand unterstreicht die kurzweilige Rhetorik. Wenn er wollte, könnte Precht auch Sektenführer werden. Ein geisteswissenschaftlicher Guru der Liebe, der seine Anhängerschaft nach seiner Nicht-Lesung zufrieden und bestätigt zurückließ. Laura Kaufmann

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