Rhythmusboy auf Kamikaze-Tour
Der türkische Pianist Fazil Say spielte Mozart und Mussorgsky im Prinzregententheater
Der Mann ist nicht zimperlich. Und wer am Sonntag gepflegt dem Mittag entgegen dösen wollte, war definitiv am falschen Platz. Fazil Say fackelte nicht lange, auch wenn er wieder mal mit hängenden Schultern und halb geschlossenen Augen zum Flügel schlurfte. Kaum saß er, ging die Kamikaze-Tour auch schon los. Und Modest Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ können einiges vertragen.
Vielleicht nicht jede Temposchwankung, und derer genehmigt sich Speedy Say ziemlich viele. Aber dass manchmal eine Nebenlinie plötzlich in den Vordergrund preschen darf, wird bei einem endlos gerittenen Konzertschlachtross sogar zum Reiz. Vor kurzem erst hat Leif Ove Andsnes just in Prinzregententheater eine geradezu ausbalancierte Version des hyperexpressiven Zyklus’ gespielt – mit einem sehr viel breiteren Farbspektrum, vielsagenden Schattierungen. Say dagegen gestaltet aus dem Rhythmus heraus, liebt den Parforce-Ritt, laut, kraftvoll bis zur phonetischen Unerträglichkeit. Und seine Linke geht noch der zartesten Melodie an den Kragen. Was außer Manierismen manchmal wenig übrig lässt.
Und doch sprüht der Witz, wenn sich der Eindruck festbeißt, Mozart habe erst mal ein paar Wochen in New Yorker Jazz-Bars geklimpert, um dann, back in Europe, seine A-Dur-Sonate „Alla Turca“ zu schreiben. Die sechs Variationen im ersten Satz? Rein rhythmisch, oder war da noch was? Dafür haben selbst die Radikalst-Amplituden in Sergej Prokofjews Kriegsgrauen-Sonate, der siebten in B-Dur, noch Swing, einen Sog, der sich unwillkürlich ins Ohr schraubt. Aber es geht ja dann auch ohne große Unterbrechung weiter mit Gershwin. Und Say fantasiert so atemberaubend lässig, so tiefmusikalisch über „Summertime“, dass alles andere eh vergessen ist. Ovationen.
Christa Sigg