Republik der Rechthaber
Eine erstaunlich aktuelle Prophetie unserer vorlauten Diskussionskultur: Bettina Bruniers Inszenierung von Henrik Ibsens Drama „Ein Volksfeind“ im Münchner Volkstheater
Sie hat ihren Gatten liebevoll umsorgt und hielt zu ihm, als ihn das ganze Städtchen mobbte. Doch dann gibt Herr Dr. Stockmann den Fluchtplan in die Neue Welt auf und selbstherrlich den einsamen Cowboy: „Der stärkste Mann hier auf dieser Welt, das ist der, der ganz für sich allein steht“.
Da macht Frau Stockmann auch auf Wilden Westen und knallt den Mann ab. Das steht so zwar nicht bei Henrik Ibsen, passt aber zum Desillusions-Theater, das Regisseurin Bettina Bruinier aus dem plüschigen Norweger-Naturalismus machte.
Der Badearzt Doktor Tomas Stockmann wird „Ein Volksfeind“, nachdem er in der lokalen Presse veröffentlicht hatte, dass das Heilwasser, mit dem sich viel Geld verdienen lässt, von der heimischen Industrie krankmachend verseucht ist. Im kleinstädtischen Ambiente einer Mehrzweckhalle (Bühne: Markus Karner) treffen schließlich die Honoratioren zu öffentlichem Podiumsgespräch aufeinander – auch das Publikum ist aufgefordert zur Meinungsäußerung.
Bruderzwist der Rechthaber
Bettina Bruinier erzählt aus einer von ihren eigenen Werten verunsicherten Demokratie und einer Republik der Rechthaber. Der emotional hoch aufgeladene Bruderzwist zwischen dem Politiker Peter Stockmann und dem Idealisten Tomas Stockmann mit Text aus dem Jahr 1882 klingt erstaunlich authentisch nach der aktuellen vorlauten Diskussionskultur. Um die Figuren auf gegenseitige Augenhöhe zu hieven, musste der nach Wahrhaftigkeit suchende Tomas (Friedrich Mücke) einerseits von seiner lächerlichen Naivität verlieren, der wirtschaftsliberale Macher Peter (Robin Sondermann) andererseits an Sympathieträger-Qualitäten gewinnen, was beiden Schauspielern gelingt.
Das Umfeld kommt, wenn auch präzise auf den Punkt gespielt, dagegen direkt aus dem Musterkoffer: Mareile Blendl als angestrengt harmoniesüchtige Ehefrau des Sonderlings, Jean-Luc Bubert als opportunistischer Schmierlappen-Journalist oder Xenia Tiling in merkelmäßigem Hosenanzug als Frau Aslaksen, der Vertreterin des bürgerlichen Mittelstands.
Monumentale Videoprojektionen der Personen, die unter Wasser schweben und unhörbar den Mund öffnen und schließen, laden die nüchterne Szenerie unterdessen mit surrealer Alptraumhaftigkeit auf – hier schwimmt jeder für sich in seinem eigenen Fischglas.
Mathias Hejny
Münchner Volkstheater, 2., 3., 22., 23. Dezember, 2., 8. Januar, 19.30 Uhr, Telefon 5234655