Reinhard Wittmann geht, Tanja Graf kommt

Am 30. Juni 2016 ist sein letzter Arbeitstag im Münchner Literaturhaus, das Reinhard G. Wittmann bereits im Vorbereitungsjahr vor der Eröffnung 1997 leitete
von  Volker Isfort
Reinhard Wittmann mit Herta Müller
Reinhard Wittmann mit Herta Müller © Lissy Mitterwallner

Am 30. Juni 2016 ist sein letzter Arbeitstag im Münchner Literaturhaus, das Reinhard G. Wittmann bereits im Vorbereitungsjahr vor der Eröffnung 1997 leitete. Ein Blick zurück – ganz ohne Zorn.

AZ: Herr Wittmann, wie fühlt es sich an, wenn man nach zwanzig Jahren sein Büro ausräumt?

REINHARD WITTMANN: Meine Gemütslage ist sehr intensiv: Fast jede Aktion ist in den letzten Wochen und Monaten dadurch bestimmt gewesen, dass ich sie das letzte Mal in dieser Funktion ausübe. Normalerweise lebt man als Leiter des Literaturhauses sehr in der Gegenwart und blickt bei der Programmgestaltung natürlich in die Zukunft. Die letzten Wochen habe ich zusätzlich viel in der Erinnerung gelebt. Mein Münchner Literaturleben begann ja viel früher.

Sie haben aus dem Kulturreferat die Gründung des Literaturhauses mit angestoßen.

Als ich 1989 im Kulturreferat in München begonnen habe, gab es dort eineinhalb Stellen für den Fachbereich Literatur und Film. Unter dem damaligen Kulturreferenten Siegfried Hummel konnte ich den Bereich sehr ausweiten. Wir haben das Preiswesen neu organisiert, die Stipendiaten in der Villa Waldberta, den Verein „Bayern liest“ gegründet, die Internationale Frühjahrsbuchwoche ins Leben gerufen, ein Comicfest eingeführt, Institutionen wie die Internationale Jugendbuchbibliothek reformiert und die Monacensia gestärkt. Wir haben das ganze literarische Leben auf Vordermann gebracht. Ohne diese Vorarbeit hätte uns die Münchner Verlagswelt bei der Errichtung des Literaturhauses nicht so unterstützt.

Was unterscheidet denn das Münchner Literaturhaus von den anderen im deutschsprachigen Raum?

Wir bespielen alle Kanäle, machen Wortveranstaltungen, Ausstellungen, auch Sachbuchthemen spielen bei uns eine große Rolle. Und wir haben Schreibseminare. Die Ausstellungen sind besonders wichtig, weil sie so ein Haus lebendig machen, auch tagsüber und an Wochenenden. Wir hatten 30 000 Besucher bei Loriot und 20 000 bei Polt. Und mit einer Ausstellung und dem Begleitprogramm kann man ein Thema viel intensiver behandeln. Natürlich haben wir einen größeren Saal und eine bessere Lage als andere Häuser – aber auch eine andere Philosophie.

Die da wäre?

Die Vermittlungsarbeit und die Orientierung am Publikum ist mir wichtig. Manche meiner Kollegen in Deutschland sind viel mehr inhaltlich fixiert. Ich habe meine eigenen Leseinteressen immer zurückgestellt. Es gibt Theaterregisseure, die ihre Privatinteressen öffentlich auf der Bühne austoben, was dann völlig am Publikum vorbeigeht. Mit so einer Einstellung kann man hier nicht arbeiten.

Die Form der Lesung ist – bei allen Experimenten, die mit junger Literatur gemacht wurde – doch eher identisch geblieben. Wollen die Zuschauer das so?

Ich denke schon. Die Autoren haben sich auch besser eingestellt auf die öffentlichen Auftritte. Und wenn sie gut lesen können, ist das auch eine Dimension, die den Text noch einmal deutlich bereichert. Wer Martin Walser hört, der liest seine Bücher danach ganz anders. Die so oft kritisierten „Wasserglaslesungen“ können immer noch sehr gut sein, wenn die Moderation stimmt, der Ton, das Licht, das Raumklima. Ich habe allein zehn Jahre an der Lüftung im Saal herumexperimentiert, was war das für ein Zirkus! Aber die Menschen müssen sich wohlfühlen bei einer Lesung. Das habe ich auch meinen Mitarbeitern immer gesagt: Wir müssen so operieren wie in einem Hotel, die Gäste müssen sich willkommen fühlen.

Wie bemessen Sie eigentlich, ob eine Lesung erfolgreich war? Bekommen Sie Post?

Es gibt nur ein hartes Kriterium, das ist der Buchverkauf nach der Lesung. Eine Veranstaltung, die die Leute begeistert hat: Das spürt man am Büchertisch sofort.

Es hieß immer, Sie hätten Schwierigkeiten mit dem Segment der leichteren Unterhaltungsliteratur?

Es gibt ein Publikum, das zu Lesungen geht, und es gibt Menschen, die interessiert das gar nicht, obwohl sie lesen. Ich denke mit Schrecken an einen Abend mit Michael Crichton zurück, einem wirklichen Weltstar. Da kamen 150 Leute. Das war kein Einzelbeispiel. Wir haben häufiger Schwierigkeiten mit Autoren aus der Unterhaltungsschiene gehabt, während andererseits Veranstaltungen über politische oder historische Sachbücher ausgezeichnet liefen.

Sie galten auch nicht als Krimifreund.

Ich bin es bedingt. Wir hatten ja auch Henning Mankell und Martin Suter hier im Haus. Und nachdem die Criminale in München, auch im Literaturhaus, gastierte, haben Sabine Thomas und Andreas Hoh ein sehr erfolgreiches Krimifestival aufgebaut, das auch häufig im Literaturhaus eröffnet wurde. Wir wollen nicht konkurrieren, sondern kooperieren.

Wie viele Bücher haben Sie pro Jahr gelesen?

Ich denke schon so an die 100, viele davon aber auch nur angelesen. Das war immer ein sehr zielgerichtetes Lesen im Hinblick auf das mögliche Programm. Ich Freude mich, dass ich künftig wieder lustvoll lesen kann. Manchmal ging es mir hier wie letztens bei der Lesung mit Thea Dorn aus „Die Unglückseligen“. Der Abend mit ihr und Rüdiger Safranski war so interessant, dass ich am liebsten sofort ihr Buch noch einmal gelesen hätte. Aber die Zeit dafür gab es nie, es gab ja immer den nächsten Abend, das nächste Thema. Das fand ich schon anstrengend.

Was waren Ihre Höhepunkte im Literaturhaus?

Schon die Ausstellungen, auch aus dem gerade angeführten Grund. Die intensive Zusammenarbeit mit den Autoren selbst war etwas ganz Besonderes, zum Beispiel mit Gerhard Polt oder Martin Walser. Ich werde es nicht vergessen, wie ich bei Walser im Wohnzimmer saß und mit ihm über das Konzept sprach, und er eine Schublade aufzieht und einen Stapel Manuskripte herausholt. Polts Ausstellung war für mich eine der schönsten, weil sich in der Galerie wirklich alle gemischt haben. Da standen Trachtler in Lederhosen neben Hans Magnus Enzensberger, und es herrschte eine großartige Stimmung. Ganz besonders war auch die Lesung mit Hertha Müller nach ihrem Nobelpreis. Nach der Lesung in der Aula der LMU saß sie am Büchertisch, und jeder zweite, der vorbeikam, kannte irgendjemand aus ihrem Dorf. Das war emotional so überwältigend für sie, dass sie zwischendurch eine Pause einlegen und sich beruhigen musste.

Ihre Nachfolgerin wird ab 1. Juli Tanja Graf. Was geben Sie ihr mit auf den Weg?

Sie muss ihren eigenen Weg finden. Ich wurde häufig gefragt, ob ich gerne noch weitergemacht hätte. Aber man trägt schon etwas auf den Schultern mit dem ganzen Haus, auch mit dem in der Öffentlichkeit nicht sichtbaren Bereich. Deswegen ist das jetzt für mich auch der richtige Zeitpunkt zum Aufhören. Ich möchte noch etwas Anderes machen, ein bisschen frei arbeiten, Veranstaltungsreihen konzipieren, vielleicht die eine oder andere Ausstellung kuratieren – das muss ja nicht an diesem Haus sein.

Aber als Zuschauer kommen Sie nicht zurück?

Doch, natürlich, ich habe ja viele Freundschaften mit Autoren geschlossen und bin natürlich auch da, wenn etwa Christoph Ransmayr im November liest. Das gilt auch für die nächste große Ausstellung. Ich habe Tanja Graf, ohne zu wissen, dass sie mir nachfolgt, mit der Ausstellung über Helmut Dietl ein schönes Entrée bereitet. Sie kennt das Werk von Dietl sehr gut und kannte ihn auch persönlich gut. Also ein idealer Start, was die Ausstellungen betrifft. Und einer Institution, die man selbst konzipiert, errichtet und geleitet hat, bleibt man immer eng verbunden. Und so stehe ich mit meiner Erfahrung meiner Nachfolgerin gerne zur Verfügung. Volker Isfort

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