Reif für die Insel, oder: Robinson brauchte Freitag zum Erholen

Biennale: Die Uraufführung von Enno Poppes „Arbeit Nahrung Wohnung“ wurde wegen Graham Valentines Schwächeanfall abgebrochen
von  Abendzeitung

Biennale: Die Uraufführung von Enno Poppes „Arbeit Nahrung Wohnung“ wurde wegen Graham Valentines Schwächeanfall abgebrochen

Nach einer guten Stunde trat Stille ein. Die Schlagzeuger wahrten seemännische Haltung. Die Unterbrechung wirkte erst, als gehöre sie zur Zeitverlorenheit der Geschichte. Dann eilte ein Techniker hinter die Bühne und berichtete von einem Schwächeanfall des Robinson-Darstellers Graham F. Valentine. Biennale-Chef Peter Ruzicka unterbrach die Vorstellung erst für 20 Minuten und sagte sie später ganz ab. Ein Rettungswagen brachte Valentine ins Krankenhaus.

Zuvor war Robinson schon einmal zusammengebrochen. Enno Poppe misstraut der glücklichen Rettung des Seemanns nach 28 Jahren Inseleinsamkeit. In seiner Kammeroper „Arbeit Nahrung Wohnung“ streicht Robinson weiter Tag für Tag auf einer großen Schultafel ab. Dem Kreidegekratze antwortet erst ein Schlagzeuger im Hinterzimmer, dann folgen der karottenschälende Freitag und die Schiffsjungen in der Kombüse des Seemannsheims. Das Alltagsgeräusch steigert sich allmählich zu einem wüsten Schlagzeugsolo, bis sich Robinson konvulsivisch am Boden windet.

Szene und Musik bilden in der Muffathalle eine ungewöhnliche Einheit. Am Beginn schlurft Robinson durchs Treppenhaus. Ein Offizier erscheint und beginnt ein wild gezacktes Solo auf einem als Harmonium getarnten Keyboard. Dann stimmen gewaltige Orgel-Cluster, dumpfe Schläge auf Holzblöcke und Rasseln ein. Die Mischung mikrotonal gestimmter Synthesizer mit Schlagzeug erzeugt einen soghaften, im Musiktheater bisher ungehörten Klang.

Die instrumentale Seite ist voller Energie und kraftvoll wie Poppes Ensemblestücke. Die Singstimmen behandelt der Sauerländer mit an Sciarrino gemahnender Zeitgenossen-Üblichkeit konventioneller.

Das Problem der Aufführung heißt Christoph Marthaler. Seine musikalischen „Abende“ prägen diese Robinson-Variante. Anna Viebrock stellte eines ihrer Abbruch-Häuser mit auf Putz installierten Elektroleitungen auf die Bühne und inszenierte „Arbeit Nahrung Wohnung“ ihrem langjährigen Weggefährten zum Verwechseln ähnlich.

Marthalers Meisterstück „Murx den Europäer“ von 1993 ist längst Theatergeschichte. Sein Erfinder hat sich mittlerweile in Richtung Opernregie von seinen Collagen verabschiedet. Und so wirkt es leicht anachronistisch, wie Poppe den alten Zauber wieder zu bannen versucht. Die improvisierte Leichtigkeit des Vorbilds lässt sich kaum komponieren. „Arbeit Nahrung Wohnung“ wirkt deshalb wie kaltes Marionettentheater, weil die bewegenden Geschichten schrulligen Scheiterns besonderer Menschen nicht wiederholbar sind.

Der wunderbar krächzende Graham Valentine, der ebenfalls aus Marthalers Theaterfamilie stammt, hat sich mittlerweile erholt. Die Aufführungen am Samstag und Sonntag finden statt. Karten gibt es noch. Robert Braunmüller

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