Reif für die Computerinsel

Die Staatsbibliothek ist jetzt auch in der virtuellen Welt von „Second Life“ vertreten. Interessierte aus der ganzen Welt können die originalgetreu nachanimierten Räumen besuchen.
von  Abendzeitung

Die Staatsbibliothek ist jetzt auch in der virtuellen Welt von „Second Life“ vertreten. Interessierte aus der ganzen Welt können die originalgetreu nachanimierten Räumen besuchen.

Der Weg ist bekannt und doch einzigartig neu, denn man kann ihn nun auch in den eigenen vier Wänden am Computer gehen: Die Staatsbibliothek öffnet sich wie eine heilige Halle, man steigt die große Steintreppe hinauf und wandelt an den Säulen vorbei, sieht die Wandbemalungen, das neu renovierte Prachttreppenhaus, kommt in den Lesesaal im 1. Stock und kann durch die Gänge schlendern.

Die Illusion ist perfekt: Als erste führende deutsche Bibliothek ist seit dieser Woche die Bayerische Staatsbibliothek in der virtuellen Welt von „Second Life“ unter dem Namen „Insel der Information“ vertreten. Mit künstlichen Personen, den Avataren, können Forschende, Lehrende, Studierende und andere Interessierte aus der ganzen Welt via Internet die originalgetreu nachanimierten Räumen der traditionellen Einrichtung besuchen.

Wie im richtigen Leben brauchte es auch in der Computerwelt Architekten, um das Gebäude entstehen zu lassen. Sie mussten sich zunächst mit den alten Bauplänen und dem realen Aussehen der Bibliothek auseinandersetzen, um sie dann im virtuellen Raum neu entstehen zu lassen. Die Umgebung um das Gebäude wurde als Insel angelegt, weil man sich nicht als bayerische Institution, sondern als weltweites Bildungsangebot repräsentiert sehen will. Neben wissenschaftlichen Fachdiskussionen, Konferenzen und Vorträgen stehen dem Besucher auch sämtliche Online-Dienste zur Verfügung. Außerdem kann man virtuell sechs mittelalterliche Handschriften durchblättern, ein besonderes Vergnügen, denn diese wertvollen Dokumente sind in der echten Welt zur Ansicht nicht freigegeben.

Mit ihrer Repräsentanz in „Second Life“ will sich die Bayerische Staatsbibliothek als innovativer Informationsdienstleister frühzeitig den Herausforderungen der Zukunft stellen. „Das Ganze ist ein Experiment“, meint Dr. Klaus Ceynowa, stellvertretender Generaldirektor der Bibliothek. All jene, die sich (wie in der realen Bibliothek) irgendwann langweilen, können Boule spielen, sich im Innenhof sonnen oder in der Cafeteria verabreden. Ja, gesteht Ceynowa zu, „der Flirtfaktor könnte recht hoch sein, weil man im Internet gut anonym Kontakte knüpfen kann. Andererseits ist die Enttäuschung groß, wenn sich ein Computernerd das Outfit eines attraktiven Avatars verpasst – und in der realen Welt ein Date arrangieren will. Aber dazu sind wir auch in der realen Welt nicht da: Wir sind eine wissenschaftliche Informationseinrichtung.“ Welche Pläne der User auch immer verfolgt, er kann jetzt die Stabi besuchen – und ihr doch fern bleiben.

Julia John / Elisabeth Weidling

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