Rebecca Gablé segelt durch die Geschichte
Die deutsche Bestsellerautorin Rebecca Gablé setzt mit "Der Palast der Meere" ihre Waringham Saga fort
In den britischen Geschichtsbüchern sucht man die Waringhams vergebens, aber Millionen Leser folgen der Familiensaga durch die Jahrhunderte. Erdacht hat die sorgsam in die Wirklichkeit eingebetteten Abenteuer die deutsche Autorin Rebecca Gablé. Die ursprünglich als Mittelalter-Trilogie geplante Buchreihe erweiterte Gablé auf Druck der Fans hinein bis in die Renaissance, an den Hof Heinrichs VIII. Hauptdarsteller in „Der dunkle Thron“ war dessen Tochter Mary, unrühmlich in die Geschichte eingegangen als „Bloody Mary“, weil sie 289 Protestanten hatte verbrennen lassen. „Aber wer Mary sagt, muss auch Elizabeth I. sagen“, das war Rebecca Gablé von Anfang an klar. Schließlich ist das Elisabethanische Zeitalter eine der spannendsten Epochen der britischen Geschichte. So hatte Rebecca Gablé für ihren heute erscheinenden Roman „Der Palast der Meere“ vor allem ein Problem: Wie packt man diese Epoche unglaublicher globaler und gesellschaftlicher Veränderungen, politischer und religiöser Auseinandersetzung in nur einen prallen Abenteuerroman?
AZ: Frau Gablé, wie konstruieren Sie ihre fiktiven Waringhams hinein in die reale britische Geschichte?
REBECCA GABLÉ: Eleanor of Waringham sollte eine direkte Nähe zu Elizabeth I. haben, ihre Mutter ist die Amme der späteren Königin. Ich wollte aus Eleonor aber nicht nur die klassische, vertraute Hofdame machen, die der Königin die Haare aufsteckt und dabei Tratsch und Staatsgeheimnisse erfährt. Das war mir zu zahm. Es ist eben die Zeit, in der Frauen Männerrollen ausgefüllt haben. Mary Tudor war Königin, wenn auch keine besonders erfolgreiche. Elizabeth I. war Königin, Mary Stuart war Königin. So habe ich auch Eleanor in eine klassische Männerdomäne geschickt: die Spionage.
Ihr Bruder Isaac hingegen wird als Sklave ausgebeutet und landet später auf dem Schiff von Francis Drake.
Ich versuche für meine männlichen Figuren immer eine Biografie zu entwerfen, die zeittypisch ist. Und da war es naheliegend, ihn zum Seefahrer zu machen. Ich wollte einen Schelm als Protagonisten für den zweiten Handlungsstrang, das macht großen Spaß beim Schreiben. So ist die Geschichte um Isaac ein Schelmenroman innerhalb des historischen Romans geworden.
Francis Drake ist alles andere als der schillernde Held.
Bevor ich mit den Recherchen begann, war er für mich eine Art Gentleman, Freibeuter, eine Errol-Flynn-Figur. Je mehr Biografien ich las, desto schärfer wurde das Bild des wahren Drake: zwiespältig, schwierig, grausam. Als Romanfigur wurde er also immer besser, weil er so gebrochen ist. Ein wirkliches Geschenk. Zumal er einen wichtigen Aspekt der Zeit verkörpert: die Globalisierung. Handel, aber auch kriegerische Auseinandersetzungen wurden global. Und Drake steht für die Auseinandersetzung zwischen dem protestantischen England und dem katholischen Spanien.
Sie haben mit den Waringhams das Mittelalter verlassen, die elisabethanische Zeit ist viel besser dokumentiert. Macht das die fiktionalen Räume enger?
Auf jeden Fall. Die Erfindung des Buchdrucks ist eine Zäsur. Vorher, als es nur Manuskripte gab, sind alle Geschehnisse nur rudimentär dokumentiert. Wenn man zwei Quellen zu einem Ereignis hat, ist das schon viel. Mit der Erfindung des Buchdrucks setzt eine „Geschwätzigkeit“ ein, die mich bei den Recherchen manchmal an das Internet erinnert hat. Jeder, der meinte, etwas zu sagen zu haben, hat das niedergeschrieben und drucken lassen. Es macht also viel mehr Arbeit, sich einen Überblick über die Zeit zu verschaffen, und die weißen Flecken in der Historie, in die ich meine Figuren hineinmogeln kann, die werden kleiner. Aber ein blinder Passagier geht immer.
Als Leser erkennt man schnell Ihre persönlichen Favoriten und Feinde in der realen Geschichte.
Ich lese Biografien und Fachliteratur, bis ich das Gefühl habe, mir eine eigene Meinung bilden zu können. Ein historischer Roman, der versucht, neutral zu sein, ist ganz schnell langweilig. Man muss sich mit einer Seite identifizieren. Ich versuche dabei, jeder historischen Figur eine Chance zu geben, aber Heinrich VIII. zum Beispiel war einfach furchtbar. Dafür habe ich im letzten Roman versucht, die verfemte „Bloody Mary“ zu rehabilitieren. Es war mir ein Anliegen, zu erklären, warum sie so geworden ist. Sie ist gescheitert, aber sie war nicht boshaft. Ohne Marys Scheitern wäre Elizabeths Erfolg nicht möglich gewesen, hat ein kluger Historiker einmal geschrieben. Ich denke, das trifft den Nagel auf dem Kopf.
Was bewundern Sie an Elizabeth I.?
Sie war ein weit überdurchschnittlich intelligenter Ausnahmemensch. Eine extrem gebildete Persönlichkeit. Niemand hatte ihr zugetraut, lange auf dem Thron verweilen zu können, aber sie schaffte es 45 Jahre lang, bis zu ihrem Tod. Elizabeth I. hat erstaunlich autokratisch und absolutistisch regiert, wenn man bedenkt, dass es schon seit 300 Jahren ein Parlament gab. Elizabeth I. hat es einfach nicht einberufen, sie hat es ausgehebelt. Was ich vorher nicht wusste, war, dass sie offenbar diesen fürchterlichen Jähzorn ihres Vaters Heinrich VIII. geerbt hatte. Sie konnte total ausrasten und hat Mary Shelton den Finger gebrochen, als diese ihr sagte, dass die heiraten wolle. Und es ist überliefert, dass sie eine Widersacherin förmlich vom Hof geprügelt hat.
Über die Epoche, die Sie gerade beackert haben, gibt es nicht nur bekannte Romane, sondern auch neue TV-Serien. Sehen Sie das als Konkurrenz?
Da bin ich unbeeinflusst. Ich denke, in der Wahrnehmung der Leser ist das kein Elizabeth-Roman, sondern ein Waringham-Roman. Als ich über den Hundertjährigen Krieg und die Rosenkriege schrieb, da spürte ich immer diesen übergroßen Schatten von William Shakespeare im Nacken, weil der die gleichen Themen bearbeitet hatte, was mich furchtbar eingeschüchtert hat. Wenn man diese Zeit dann hinter sich gelassen hat, dann sind einem „Tudor“-TV-Serien völlig egal. Aber in der Entstehungszeit eines Romans sehe und lese ich auch nichts Fiktionales über diese Zeit, das würde mich durcheinanderbringen. Jetzt darf ich es wieder.
Finden Sie die britische Geschichte spannender als die deutsche oder französische?
Überhaupt nicht. Sie ist einfacher und wunderbar überschaubar. Im Mittelalter gab es etwa zweihundert Familien auf der Insel, die dem Hochadel zugerechnet wurden, in Frankreich waren das zur gleichen Zeit 1300. Es gab auch nicht so viele politische Fraktionen und Zersplitterungen wie im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation.
Ihr Buch endet 1588. Glauben Sie nicht, dass Ihre Leser eine weitere Waringham-Saga einfordern?
Ich muss es schon selbst wollen. So ein Buch kostet mich zwei sehr arbeitsintensive Jahre meines Lebens. Momentan kann ich es mir nicht vorstellen. Ich habe einfach keine Lust auf die Barockzeit. Da schreibe ich lieber ein Prequel: Was im 13. Jahrhundert mit den Waringhams geschah.
Was stört Sie am Barock – die Perücken?
Die Perücken sind ein Symptom. Ich finde James VI. von Schottland und I. von England einen ganz schrecklichen Typen. Ich fremdel noch sehr mit der Zeit, obwohl ich die Musik ganz gerne mag. Die Architektur ist schrecklich, der Lebensstil parfümiert. Aber ich will nicht ausschließen, dass ich den persönlichen Schlüssel zu dieser Epoche doch noch finde.
In Ihren historischen Romanen sprechen die Figuren sehr heutig.
Wir können den Leuten aus dem 16. Jahrhundert nicht aufs Maul schauen. Alle schriftlichen Belege der Vergangenheit sind immer eine Art der Kunstsprache, ob Juristensprache oder Dichtersprache. Originaltöne, wie die Menschen wirklich gesprochen haben, gibt es für das Mittelalter überhaupt nicht und für die Renaissance nur in ganz geringem Maße. William Shakespeare lässt beispielsweise in „Richard II.“ zwei Gärtner als Volkes Stimme auftreten. Aber es ist immer noch William Shakespeare. Ich habe für mich die Lösung gewählt, die Alltagssprache von damals durch die von heute auszudrücken. Ich mag die künstliche Historisierung von Sprache überhaupt nicht.
Ihr Roman handelt auch von globaler Ausbeutung und religiösem Fanatismus – ziemlich heutige Themen.
Tja, man hat wirklich nicht das Gefühl, dass die Menschen aus der Geschichte lernen. Es deprimiert auch einen grundoptimistischen Menschen wie mich, wenn ich feststelle, dass wir teilweise wieder dort stehen, vor wir 1570 schon waren. Das kann einen schon runterziehen. Aber es gibt glücklicherweise andere Bereiche, in denen wir Menschen schon Fortschritte gemacht haben.
Rebecca Gablé: „Der Palast der Meere“ (Lübbe, 958 Seiten, 26 Euro)