Reaktionärer Absinth

Premiere im Nationaltheater: Christian Stückl inszeniert Hans Pfitzners Oper "Palestrina", die 1917 im Prinzregententheater uraufgeführt wurde. Simone Young dirigiert die Musik eines Komponisten, der als Antisemit, Polemiker, Starrkopf und Feind der Avantgarde berüchtigt ist.
von  Abendzeitung

Premiere im Nationaltheater: Christian Stückl inszeniert Hans Pfitzners Oper "Palestrina", die 1917 im Prinzregententheater uraufgeführt wurde. Simone Young dirigiert die Musik eines Komponisten, der als Antisemit, Polemiker, Starrkopf und Feind der Avantgarde berüchtigt ist.

"Neben der Weltgeschichte geht schuldlos und nicht blutbefleckt die Geschichte der Philosophie, der Wissenschaft und der Künste“, heißt es im Zitat des Philosophen Artur Schopenhauer, mit dem Hans Pfitzner seine musikalische Legende „Palestrina“ überschrieben hat. Leider war der Komponist die Widerlegung dieses Satzes: Seine Pamphlete, der Antisemitismus und die Nähe zu Nazi-Größen machen jede Pfitzner-Aufführung zur Provokation.

AZ: Frau Young, viele Musiker finden, dass die Pfitzners Kunst seine Verstrickungen nicht aufwiegt. Sie dirgieren ihn doch. Warum?

SIMONE YOUNG: Es mag naiv klingen, aber ich glaube, dass sich die Musik von der Person trennen läßt. Wenn ich jedes Stück ablehne, dessen Stoff nicht mit meinen moralischen Überzeugungen übereinstimmt, stehe ich bald ohne Repertoire da. Auch Mozarts frauenfeindliche „Zauberflöte“ könnte ich nicht machen. Pfitzner ist gewiss ein Sonderfall, aber in seinem „Palestrina“ kann ich nichts Rassistisches finden.

Spüren Sie im Staatsorchester eine Pfitzner-Tradition, die bis zur Uraufführung von 1917 zurückreicht?

YOUNG: Nur drei Musiker waren bei der letzten Aufführungsserie unter Sawallisch noch dabei. An das kollektive Gedächtnis glaube ich weniger. Aber „Palestrina“ ist genau richtig für ein Orchester mit einem Schwerpunkt auf spätromantischer Musik. Denn Pfitzner knüpft an Wagners „Meistersinger“ an und nimmt Hindemiths „Mathis der Maler“ vorweg.

Herr Stückl, in „Palestrina“ singen Engel dem Komponisten die „Missa Papae Marcelli“ vor. Da drängen Sie sich als Regisseur geradezu auf.

CHRISTIAN STÜCKL: Nikolaus Bachler hat mir das Oper angeboten. Ich kannte sie vorher nicht. Gleich beim Aufschlagen der Partitur musste ich lachen, weil ich offenbar wieder als Fachmann fürs Katholische eingekauft werden sollte. Erst später habe ich mit der Person Pfitzners beschäftigt, weil ich herausfinden wollte, wie autobiografisch das Stück ist und wie unappetilich seine Rolle im Dritten Reich war.

Ist Palestrina Pfitzner?

YOUNG: Wenn ein Komponist Musik und Text selbst schreibt, ist das unvermeidlich. Auch bei Wagners Sachs und Hindemiths Mathis verhält es sich kaum anders. Wenn Palestrina in der Oper darüber spricht, dass sich der musikalische Einfall nicht von der kirchlichen Macht zwingen läßt, ist er ein Sprachrohr des Komponisten.

Seit der Uraufführung ist der zweite Akt mit der Konzilsszene umstritten. Warum ist er trotzdem wichtig?

YOUNG: Es ist ein skurriles Ensemblestück als Gegensatz zum ersten und dritten Akt, der sich allein um Palestrina dreht. Er komponiert in einer Nacht eine ganze Messe, während das Konzil nichts zustande bringt und im Chaos untergeht.

Engel singen Palestrina die Messe vor. Wird das nicht peinlich?

STÜCKL: Die Regieanweisung ist herrlich naiv: Plötzlich sitzt ein kleines Engerl auf der Lehne von Palestrinas Sessel. Aber wir haben uns nicht darum gedrückt und nichts dagegen erfunden. Aber es wird alles sehr giftgrün, als komponiere Palestrina im Absinthrausch.

Ist diese Oper mehr als ein historisches Dokument?

STÜCKL: Dass sich Politiker oder Geistliche untereinander nichts zu sagen haben, ist schon aktuell. Wenn wir Shakespeares „Richard III.“ spielen, möchten wir dem heutigen Zuschauer etwas sagen. Das ist bei „Palestrina“ sicher etwas schwieriger. Man braucht bei diesem Stück Sitzfleisch und sollte Opernliebhaber sein.

YOUNG: Palestrina sieht nur noch leere Tage und Nächte vor sich. Der schaffende Künstler mit Blockierung ist eine zeitlose Figur.

Pfitzner hasste Regisseure und Dirigenten mit eigenen Interpretationsabsichten. Ist er ihnen im Traum schon drohend erschienen?

STÜCKL: Irgendwie schlafe ich im Moment schlecht. Vielleicht ist er es. Natürlich lese ich Regieanweisungen, aber ich vergesse sie auch wieder.

YOUNG: Wir haben uns an einer Stelle bewußt von einer dynamischen Vorschrift entfernt , die mit einer szenischen Vorschrift verbunden ist. Am Ende des ersten Akts schläft Palestrina mit einem verklingenden hohen A ein. Bei uns bleibt er wach, daher haben wir das Decrescendo weggelassen, weil es nicht zur Inszenierung passt. Wäre der Komponist bei der Probe, könnte man mit ihm diskutieren und ihn um eine Änderung bitten.

Ist das Ihr erster Pfitzner?

YOUNG: Ja. Durch die Auseinandersetzung mit Busonis „Doktor Faust“ lernte ich Pfitzners Polemik „Futuristengefahr“ und die anderen Schriften kennen, die mich sehr deprimiert haben. Der Komponist war ein sehr verbohrter Mensch und auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg ein unbelehrbarer Reaktionär. Aber „Palestrina“ ist trotzdem ein Meisterwerk.

Robert Braunmüller

Warum Hans Pfitzner so umstritten ist

"Er wollte sein Vaterland wieder stark und frei machen und darüber hinaus noch Europa einen großen Dienst leisten, indem er alle Juden aus ihm vertriebe“, notierte Hans Pfitzner noch im Juni 1945 über Hitler. Äußerungen wie diese erzeugen regelmäßig öffentliches Würgen vor Aufführungen seiner Musik.

Wer trotzdem von seinen Klängen bewegt oder sogar fasziniert ist, kann einen starken Zeugen aufbieten: Obwohl Pfitzner 1933 den berüchtigten „Protest der Richard-Wagner-Stadt München gegen Thomas Mann“ unterzeichnete, leugnete der Schriftsteller seine Faszination über den 1917 im Prinzregententheater uraufgeführten „Palestrina“ nie.

Pfitzner war voller Widersprüche: Er hasste die Avantgarde, schrieb manchmal aber selbst atonal. Die Nazis fand er zu proletarisch, ließ sich von ihnen aber gern hofieren. Weil der „Polenschlächter“ Hans Frank seine Musik mochte und ihn mit Schampus versorgte, komponierte er 1944 die „Krakauer Begrüßung“ und sandte ihm 1946 ein aufmunterndes Telegramm in die Todeszelle. Beschönigen lässt sich das alles nicht. Weghören hilft auch nicht: Dafür ist „Palestrina“ zu aufregend.,

RBR

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