Raubtierkapitalismus: Netflix kündigt riesigen Programmausbau an
Gutes Unternehmertum zeichnet sich dadurch aus, dass man die Chancen, die sich einem eröffnen, erkennt und sie kurzerhand zu ergreifen weiß. Es wirkt daher recht smart, dass der Streaming-Anbieter Netflix offensichtlich die Gunst der Corona-Stunde nutzt und nicht nur weiterhin seine Kunden mit neuen Inhalten beliefert, sondern den Output in Zukunft noch um einiges erhöhen wird.
Ein neuer Film pro Woche
Darauf lässt ein neuer Trailer schließen, den Netflix vor kurzem auf allen möglichen Internet-Kanälen veröffentlichte. Es handelt sich dabei um eine Vorausschau auf das kommende Jahr, in dem ein neuer Film pro Woche versprochen wird, wobei das Programm eine Starfülle aufweist, die selbst für Netflix-Verhältnisse ausufernd erscheint.
Ein Trailer voller Superstars
Beginnt der Trailer mit dem Trio Ryan Reynolds ("Deadpool"), Gal Gadot ("Wonder Woman") und Dwayne "The Rock" Johnson, so endet er mit dem Superstar-Duo Leonardo DiCaprio und Jennifer Lawrence: In Adam McKays neuem Film "Don't Give Up" spielen sie ein nerdiges Wissenschaftler-Duo, welches einen Meteoriten entdeckt hat, der die Erde in sechs Monaten mit seinem Einschlag zu zerstören droht. Nun müssen die beiden die Menschheit irgendwie davon informieren.

Bedroht Netflix die Kinolandschaft?
Hatte George Clooney nicht vor kurzem in "The Midnight Sky" eine ähnliche Mission? Und könnte man Anbieter wie Netflix nicht selbst als Meteoriten begreifen, die längst auf die Kinolandschaft zurasen? Ein paar Marktforschungs-Studien haben zwar ergeben, dass sich gerade filmbegeisterte Streaming-Abonnenten dazu animiert fühlen, auch mal ins Kino gehen, aber es kann einem doch angst und bange werden, wenn man das neue Netflix-Line-Up sieht und von diversen Erfolgen liest.
Netflix als mediales Lagerfeuer
So wurde die Historien-Serie "Bridgerton" laut Netflix innerhalb von zehn Tagen in über 68 Millionen Haushalten gesehen und das serielle Gaunerstück "Lupin" mit Omar Sy avancierte zur bislang erfolgreichsten französischen Netflix-Serie, ebenfalls in nur wenigen Tagen. Und mögen manche sich auch über die bonbonfarbene Pop-Art von "Bridgerton" aufregen und "The Midnight Sky" für eine filmische Sternschnuppe halten - die Leute haben diese Inhalte teilweise oder gleich ganz gesehen. Denn die Hemmschwelle, im Netflix-Menü auf den neuen Clooney zu klicken, wo man ja dereinst ins Kino hätte fahren müssen, liegt äußerst niedrig, selbst wenn Freunde vorab meinen, dass sich der Ausflug nicht lohnt. Wer mitreden will, schaut rein. Ist Netflix etwa das neue mediale Lagerfeuer?
Filmgrößen versprechen Tiefgang
Zumindest gesellt sich zur stetig wachsenden Quantität der eigenproduzierten Inhalte immer mehr der Umstand, dass die Qualität eines Filmes oder einer Serie gar nicht mehr Ausschlag gebend ist, sondern die großen Namen, die damit verbunden sind und die Netflix jetzt noch mal verstärkt an sich bindet. Wirkt die Vorschau fürs kommende Jahr dabei so, als ob vor allem leichte Unterhaltung mit Cowboys, Superhelden und schönen Liebespaaren geboten wird, so finden sich in der Liste der zukünftigen Inhalte doch genug Filmgrößen, die auch etwas Tiefgang versprechen.
Bald auf Netflix: Filme der Star-Regisseure Jane Campion und Paolo Sorrentino
Die Neuseeländerin Jane Campion zum Beispiel, einst mehrfach preisgekrönt mit "Das Piano" und Mit-Schöpferin der Serie "Top of the Lake", hat nach zehn Jahren Filmpause ihr neues Werk "The Power Of The Dog" unter dem Dach von Netflix gedreht, Hauptdarsteller sind Benedict Cumberbatch und Kirsten Dunst. Und der italienische Meisterregisseur Paolo Sorrentino ("La Grande Bellezza") ist mit seinem Stamm-Schauspieler Toni Servillo ebenfalls für Netflix zugange. Worum es in "The Hand of God" genau geht, ist nicht bekannt, aber im Titel deutet sich an, dass wohl über allen Dingen, zumindest im metaphorischen Sinne, der kürzlich verstorbene Fußballgott Maradona schweben wird.
"Der weiße Tiger": eine Bestseller-Verfilmung aus Indien
Ab Freitag ist nun "Der weiße Tiger" auf Netflix abrufbar, eine in Indien gedrehte Bestseller-Verfilmung von Ramin Bahrani, der zuvor schon in Filmen wie "99 Homes" über Menschen erzählte, die im Getriebe raubtierkapitalistischer Systeme unter die Räder kommen. In "Der weiße Tiger" sind es dann tatsächlich die Folgen eines Autounfalls, die dem eigentlich treuen Bediensteten Balram Halwai vor Augen führen, dass er für seine Herrschaften ganz schnell zum Sündenbock werden kann. Der Journalist Aravind Adiga zeichnete in seinem Debütroman ein bitter komisches Bild des indischen Kastenwesens und wurde dafür 2008 mit dem wichtigsten britischen Literaturpreis, dem Booker Prize, ausgezeichnet. Seinen Erstling widmete er damals just Ramin Bahrani, mit dem er seit der gemeinsamen Studienzeit am Columbia College befreundet ist. Es wundert nun nicht, dass Bahrani bei seiner Verfilmung sehr nah an der Vorlage bleibt - er wollte seinen Kumpel wohl nicht verärgern. Und das Buch ist sowieso so handlungsreich erzählt, dass die Übertragung ins Filmische sich nahtlos anbietet.
Ein rasanter Thriller voll satirischer Schärfe
Balrams Verwandlung vom braven Chauffeur, der in den "Hühnerstall" der niederen Kasten hineingeboren wurde, zum korruptionsfähigen Boss vollzieht sich auch im Film in aller satirischen Schärfe, angetrieben von dem energetisch-differenzierten Spiel von Adarsh Gourav. Bahranis Film ist die düstere Variante von Danny Boyles märchenhaftem "Slumdog Millionär", eine Aufsteigergeschichte, bei der sich zeigt, dass man eben gut zuhören und im richtigen Moment zuschlagen muss, um ein erfolgreicher Unternehmer zu werden. Der Film wird sicherlich kein großer Zuschauer-Hit, gehört aber zu jenen Produktionen zwischen Arthouse und Mainstream, die das Netflix-Portfolio komplett machen.
Es lohnt sich, die Cuch zu verlassen
Letztendlich kann man diesen rasanten Thriller nur empfehlen - und darauf hinweisen, dass es sich lohnt, nach dem Lockdown die Couch auch wieder zu verlassen, um ins Kino zu gehen. Nicht nur, um Filme gemeinschaftlich auf großer Leinwand zu sehen, sondern damit Kinos und große Film-Ereignisse nicht eines Tages zu raren, weißen Tigern werden.