"Räuberdatschi" fährt mit angezogener Handbremse
Eine Spannungskurve wie die Beschleunigung eines Subaru Legacy im ökonomischen Niedrigdrehzahlbereich: Jörg Steinleitners neuer Alpenkrimi.
MÜNCHEN - Verdrängung. Der Vorgang, durch den wir vergessen, was wir nicht wahrhaben wollen, weil es unser Selbstgefühl stört. So die tiefenpsychologische Definition. Ersetzt man nun das Selbstgefühl durch Lesegefühl, erhält man das, was einem bei der Lektüre von Jörg Steinleitners „Räuberdatschi“ widerfährt. Denn wahrhaben, welches Schindluder die ersten gut hundert Seiten mit dem Krimi-Genre treiben, möchte man nicht. Wobei, eine Pauschal-Verurteilung wäre dann doch nicht gerechtfertigt. Von vorne also.
Anne Loops vierter Fall bringt nicht nur ihr bayerisches Seedorf in Aufruhr, sondern gleich die ganze Welt. Ein Bonnie und Clyde nicht unähnliches Bankräuber-Pärchen überfällt das Geldinstitut der Idylle und macht es mit Stockholm-Syndrom geplagten Geiseln und obskuren Videobotschaften im Internet zum Hotspot von Anonymous-Anhängern – Femen ist auch irgendwie mit von der Partie. Während Polizisten sterben oder angeschossen werden, spinnt sich die Bankbesetzung zum Alpenflashmob, bei dem ganz nebenbei auch noch das Zölibat-Problem aus der Welt geschafft wird.
So abgedreht, so gut. Würden Denkfehler – verhandelt wird mit den Bankräubern erst gar nicht, auch sind Angelina Jolie und Brad Pitt (noch) nicht verheiratet – nicht das eingangs besagte Lesegefühl kontaminieren. Und würde Steinleitners Spannungsbogen nicht der Beschleunigungskurve eines 2006 gebauten Subaru Legacy im ökonomischen Niedrigdrehzahlbereich gleichen.
Da schleichen semi-aktuelle Polit-Klaubereien mit RTL-Komik am Wahrnehmungs-Fenster des Lesers vorbei. Und da lassen lukullische Lehrstunden und monoschematische Essenslieferungen an die Kriminellen die Geduld gleich mehrfach aufheulen.
Aber: Wie man mit angezogener Handbremse dann so gekonnt in die Literatur-Kurve schleudert, das weiß er, der Steinleitner. Und setzt dem näselnd-herben Dialektmix aus französisch-ostfriesischen Bankräubern und bayerischer Polizei schlussendlich Deutschlands Kanzlerin vor, die sich von ihrem Pressereferenten erstmal ordentlich die Füße durchkneten lässt.
Das schizophren-verspulte Szenario am See nimmt derweil seinen Eskalations-Lauf – bis Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre „Truppen“ aufmarschieren lässt, China die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Bundesrepublik fordert und Polizeihauptmeisterin Anne Loop mithilfe der „Drei ???“ den Fall löst – allerdings zu spät.
Jörg Steinleitner stellt „Räuberdatschi“ (Piper, 8.99 Euro) am Dienstag, 30. April, um 20.30 Uhr mit einer szenischen Lesung mit Musik im Schlachthof vor, Eintritt: 14,60 Euro,
www.im-schlachthof.de
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