Quell' meiner Seligkeit!

Ludwig-Serie: Die Wahrheit Harte Proben: Das Verhältnis von Wagner und Ludwig war Zweck- und doch auch schwärmerische Schicksalsgemeinschaft
von  Dieter Stoll

Man darf sich König Ludwig auch als Stalker vorstellen: Der 15-jährige Kronprinz, schon damals erlösungsbedürftig, hatte am Hof- und Nationaltheater Richard Wagners „Lohengrin” gesehen und mit vorausschauender Sympathie für die Lebens-Philosophie „Nie sollst du mich befragen” sofort Seelenverwandtschaft vermutet.

Wagner mal wieder auf der Flucht vor Gläubigern

Drei Jahre später wurde er König. Und von der Inthronisierung bis zum dringenden Wunsch, endlich seinen Superstar, den Opern-Komponisten, persönlich kennenzulernen, dauerte es nur Tage. Majestät musste sich gedulden. Wagner war mal wieder auf der Flucht vor Gläubigern. Er wusste ja noch nichts von seinem Gönner und dem sonnigen Platz an der Staatskasse. Kabinettssekretär Pfistermeister wurde mit Ehren-Ring und Handschreiben auf die Suche geschickt – quer durch Österreich und Süddeutschland, ehe die Spur nach Stuttgart in Wagners Hartz-IV-Quartier führte. Aber am 5. Mai 1864 ist es soweit: Der 19-jährige Monarch empfängt den 51-jährigen Künstler. Die Musiktheater-Geschichte kann ein neues Kapitel beginnen.
Ob es platonische Liebe auf den ersten Blick war oder die unheimliche Begegnung eines Kunst-Schwärmers mit dem Genie der Selbstverwirklichung? Verbürgt ist Ludwigs Versprechen, er werde „alles tun, um Sie für vergangene Leiden zu entschädigen”. Wagner notierte: „Er Liebe mit der Innigkeit und Glut der ersten Liebe”, die zum Ausruf führte: „Kann das anders als ein Traum sein?”

Thränen himmlishster Rührung

Es war Realität mit Schaumschlag, Höhenflug mit Absturzgefahr. Wagner quittierte die hitzigen Huldigungen seines hochrangigen Fans („Ein und All! Inbegriff und Quelle meiner Seligkeit! Glückseliger! Grund meines Daseins! Angebeteter Freund!”) mit Elogen „im höchsten Entzücken, treu und wahr”. Da bot er dem „theuren, huldvollen König” mit „Thränen himmlischester Rührung” sein Leben bis zum „letzten Dichten und Tönen” als „Ihr Eigenthum” an.

Defizit-Desaster

Es ging aber auch konkreter: Die Schulden des Komponisten werden bezahlt, er kann ein großes Haus beziehen und das Gehalt von 4000 Gulden garantiert gehobenen Lebensstandard. Mehr noch: Mit sichernden Verträgen, die ihm im Gegenzug die Rechte an „Tristan und Isolde” aufwärts bringen (also noch „Meistersinger”, „Ring”, „Parsifal”) gibt der König dem Künstler den Freiraum für seine mehrstufige Bühnen-Revolution. Der Bau des Bayreuther Festspielhauses samt Defizit-Desaster der ersten Saison gehört in diesen Rahmen.
Dass dies alles die größten Löcher in die öffentlichen Kassen riss und so zum Sturz von Ludwig II. führte, gehört zu den Gerüchten. Wolfgang Wagner, der Enkel, warf sich in seinen Memoiren schützend vor den Opa und machte wutschnaubend die Gegenrechnung auf: „Die Ausstattung allein des königlichen Schlafzimmers im Schloss Herrenchiemsee hat mehr gekostet als Richard Wagner in knapp zwanzig Jahren an Zuwendungen des Königs erhielt (rund 560000 Mark)”. Außerdem habe jener mehrere Original-Partituren als Geschenk erhalten: „Die Hin- und Her-Rechnerei erscheint aus über hundertjährigem Abstand geradezu idiotisch”. Genau!

Das Volk stellt ihn vor die Entscheidung. Wir oder Wagner!

Es geht mehr um Politik als um Kunst, wenn Richard Wagner im Dezember 1865 fluchtartig München verlässt. Sechs Monate vorher waren er und sein Gönner beim Uraufführungs-Triumph von „Tristan und Isolde” noch gemeinsam gefeiert worden. Doch das großspurige Auftreten des Komponisten und seine gezielten politischen Ratschläge an den zunehmend autistischen Herrscher lassen Unmut aufkommen. Als der König aufgefordert wird, „zwischen der Liebe ihres treuen Volkes und der Freundschaft Richard Wagners” zu wählen, gibt Ludwig dem Druck nach. Es wird ein sanfter Sturz für den Musiker: Die Kosten der Exil-Villa in der Schweiz und fürs Monatsgehalt laufen weiter über die Münchner Konten. Die große Zeit der Briefwechsel kann beginnen, wo man sich gegenseitig einweiht in die Träume von Neuschwanstein und Bayreuth. Realpolitisch trompetet der weiterhin meinungsfreudige Komponist den labilen König zum „Führer von Süddeutschland” und empfiehlt: „Befehlen Sie Eines und immer nur Eines: höchste Anspannung der bayerischen Wehrkraft, und zwar sofort, schleunigst”.
Als es 1876 zum ersten „Ring”-Zyklus kommt, ist der Märchenkönig schon zum Sonderling mutiert. Sein Besuch der Bayreuther Generalprobe wird in der Chronik fortan „der letzte halbwegs öffentliche Auftritt” genannt.

Ludwig verfälschte Wagner zum Kitsch

Während der Arbeit am finalen „Welt-Abschieds-Werk”, „Parsifal”, war Wagner das Vertrauen in seinen Gönner abhanden gekommen, aber er versprach, es werde viel vom „Lohengrin” wieder auftauchen, dessen Schwanenfahrt der König 1865 am Alpsee wie einen Bregenzer Testlauf inszeniert hatte. Dass Ludwig in München eine Aufführungs-Ästhetik im Stil seiner schnörkeligen Architektur-Visionen „an den Grenzen des Kitsches” durchsetzte, verfälschte das Wagner-Bild nach Einschätzung Wolfgang Wagners für Generationen.
Mag sein. Doch ohne Ludwig kein Richard! Der maßlose König, selber ein fragiles Gesamtkunstwerk, hat dem hemmungslosen Komponisten die stabilen Verhältnisse für seine allergrößten Ansprüche verschafft. Als Wagner 1883 starb und die Münchner Hofoper innerhalb von drei Wochen alle Werke aufführte, stellte es der schon fast verstummte Ludwig II. klar: „Den Künstler, um welchen jetzt die ganze Welt trauert, habe ich zuerst erkannt und der Welt gerettet”.

Dieter Stoll

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