Quälende Schulstunden

Der Germanist Jürgen Wertheimer über die Wirkungslosigkeit des Klassikers Schiller
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Der Germanist Jürgen Wertheimer über die Wirkungslosigkeit des Klassikers Schiller

Auch wenn man’s im Land der Dichter und Denker nur ungern hört: In der Literatur und an den Theatern der Welt ist Schiller kaum gegenwärtig. Seine internationale Wirkung lässt sich, einem weit verbreiteten Vorurteil zum Trotz, kaum mit der von William Shakespeare oder Molière vergleichen. Johann Wolfgang von Goethe oder Hölderlin haben da schon einen weiter schallenderen Ruf.

Überlebt habe Schiller die Jahrhunderte allenfalls durch die Verdopplung mit Johann Wolfgang von Goethe in Weimar, meint der in München geborene und an der Universität Tübingen lehrende Germanist Jürgen Wertheimer. „Das hat ein Bild hinterlassen.“ Schiller sei auch nie der große Idealist gewesen, als der er allzu oft dargestellt werde. Ein großer Autor sei er dennoch, weil er die Ideologie vorführe. „In fast jedem seiner Stücke wird das System in Frage gestellt.“ Wie kein Zweiter mache er die Verfahrensweisen der Gesellschaft in ihrer manipulativen Kraft transparent. Insofern sei Schiller heute aktuell wie eh und je. Viele seiner Figuren müssten schmerzvoll erkennen, wie die Mechanismen der Moderne funktionieren.

Verblassende Wirkungen

Eingestehen muss der Wissenschaftler, dass sich Schiller samt seiner 200 Jahre alten Sprache nur schwer vermitteln lässt. „Qualvoll“ werde da manche Schulstunde. „Da hat jeder schon mal gelitten.“ Da werde „zwanghaft“ mit verteilten Rollen gelesen, ohne den Schülern vorher die Chance zu geben, ein Gefühl für die Situation zu bekommen, in der etwa die „Räuber“ oder ein „Wallenstein“ spielen. „Man muss den Ernst der Lage begreifen, um erfassen zu können, worum es Schiller geht.“

Lehrern rät Wertheimer, ihren Schülern beim Einstieg mit einer guten Theateraufführung auf die Sprünge zu helfen, Schiller zu begreifen. „Er war nun mal ein Theatermann.“ Oder über einen Film, wie etwa die „Kabale und Liebe“-Adaption von Leander Haußmann. Auch Schiller selbst wäre nach Ansicht von Wertheimer heute wohl eher in den Medien zu suchen als im Theater. „Er wollte stets mit den Mitteln der Kunst auf die Wahrnehmung der Menschen einwirken“. Das Theater sei dafür längst zu wirkungslos – und auch die Literatur habe nicht mehr die Bedeutung von einst.

Roland Böhm

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