Pumuckl – der letzte Punk

Er ist renitent, ein Nein-Sager, unangepasst und anarchisch: Als Gegenentwurf zu Lillifee taugt der Kobold auch nach fast 50 Jahren noch zum Vorbild. Eine Würdigung zum Geburtstag seiner Erfinderin
von  Abendzeitung

Er ist renitent, ein Nein-Sager, unangepasst und anarchisch: Als Gegenentwurf zu Lillifee taugt der Kobold auch nach fast 50 Jahren noch zum Vorbild. Eine Würdigung zum Geburtstag seiner Erfinderin

Pumuckl hat sich aus Blechbüchsen ein Schlagzeug gebaut. Er singt, begleitet vom eigenen Beat:

„Es lebten die Klabauter,

mal leiser und mal lauter.

Und lebt ein Lauter leiser,

dann ist er sicher heiser.

Doch lebt ein Leiser laut,

wenn er auf

die Büchsen haut!“

Dann kommt das Schlagzeugsolo, und: He’s got the rhythm. Den Kobolds-Rhythmus, den Ellis Kaut erfunden und erfühlt hat. Heute wird sie 90 Jahre alt.

Ihr Pumuckl hat auch schon fast 50 Jahre auf dem Buckel – aber er lebt bis heute.

In den 60ern war der Pumuckl, ein ungehorsamer Kobold, als Kinderheld schon eine Ungeheuerlichkeit, und die Eltern hofften, dass sich ihre Kinder nicht mit dem Klabautersmann identifizieren, sondern mit dem ordnungsschaffenden Meister Eder. Vergeblich.

Heute aber wird die Sonderstellung Pumuckls immer deutlicher. Denn heute regiert im Kinderuniversum Prinzessin Lillifee, ein rosa Monster des Kapitalismus. Sie steht weniger für Geschichten, Sprüche oder Witz, sie gibt es vor allem zum Kaufen, als Helm, Schulranzen, Aufkleber, Radiergummi, Badeanzug, Haarklammer und was man sich sonst erdenken kann.

Pumuckl ist keinesfalls rosa, Mode ist ihm sowieso egal, weil er idealerweise unsichtbar ist, meistens jedenfalls.

Aber er steht für Etwas. Pumuckl ist Anarchist, er macht vor allem, was er will. Wenn man ihm etwas anschafft, macht er mit großer Wahrscheinlichkeit das Gegenteil. Dabei ist er trotz seines Anarchismus gesetzestreu – was nur scheinbar ein Widerspruch ist. Pumuckl hält sich nämlich an Kobolds-Gesetze. Eines besagt, dass er immer bei dem Menschen bleiben muss, bei dem er blöderweise sichtbar wurde, weil er an etwas Menschlichem, in dem Falle Schreinerleim, hängen geblieben ist.

Gleichzeitig zitiert der Pumuckl letztlich die Kobolds-Gesetze freigeistig herbei. Und wird so zum Anarcho-Philosophen. Wenn er also sein Blechbüchsensolo zelebriert und der Eder ihn auffordert aufzuhören, doziert er: „Niemand kann aufhören, wenn er gerade angefangen hat. Altes Kobolds-Gesetz.“

Um Missverständnissen vorzubeugen: Pumuckl ist kein Rotzlöffel. Er ist Individualist. Unverwechselbarer Einzelgänger, der keiner tumben Gruppendynamik anheim fällt. Einmal wundert sich Meister Eder, warum er keine Artgenossen um sich schart oder sie wenigstens vermisst. Pumuckl erklärt: „Es ist nicht Kobolds-Art, nach anderen Kobolden zu suchen. Das ist mehr Heinzelmännchen- und Gartenzwerge-Art. Die müssen ja immer in ganzen Horden leben, weil einer alleine ja gar nicht so tugendboldig sein kann. Ich bin aber kein Tugendbold, sondern ein Kobold."

Natürlich bleibt er nicht daheim, wenn er soll, und wenn Eder ihm sagt, „fass’ keine Christbaumkugel an“, zieht der Glanz der filigranen Kugel ihn unwiderstehlich an. Selbst am Boden liegend bäumt er sich auf – subtil, wenn es nicht anders geht. Eder hat ihn eingesperrt, um Kegeln zu gehen und dem Wicht empfohlen, ein Gedicht zu machen, was ihm doch sonst so viel Spaß mache. Da dichtet Pumuckl allein daheim – allerdings absichtlich ohne Reime, ein dichterischer Aufschrei:

„Ich reime nie mehr Reime,

denn ich sitz' allein zu Hause

und fauche wie 'ne Katze

beim Anblick eines Hundes,

und alles ist sehr traurig,

denn nirgends ist was

Farbiges.“

Ernst Jandl hätt’s nicht schöner sagen können.

Der Kobold ist eben im Inneren unbestechlich. Und da ist er heute ja auch sehr einsam.

In Zeiten, in denen Udo Lindenberg für die „Bild“-Zeitung Werbung macht, Rainer Langhans für ein paar Piepen ins RTL–Dschungelcamp geht und Teeniestar Bill Kaulitz die Flachbildschirme einer Elektronik-Kette anpreist, assistiert von Alice Cooper, da ist der Pumuckl in Wahrheit der letzte Punk: der letzte Nein-Sager, der letzte Renitente.

Er erlebt auch durchaus Exzesse, betrinkt sich mit Kirschlikör, isst Schlagrahm bis zum Erbrechen und geht auf Abenteuerfahrt mit einer Gummiente. Er steht für Nonkonformismus bis ins Details. So mag er Pudding nur dann, wenn er klumpig und leicht angebrannt ist.

Dabei ist der Pumuckl nicht ohne Werte. Denn wenn es um die Wurscht geht, kämpft er doch für die Guten. Er rettet alte Frauen vor Gartengespenstern, macht die böse Gasfrau dingfest und seinen Meister Eder verteidigt er im Ernstfall bis aufs Blut. „Wenn ich Rache rieche, räche ich fürchterlich!“, kündigt er einmal an und macht den vorher gedemütigten Eder dann unsichtbar und heldenhaft zum Gewinner des Abends. Ein edler Punk, ein fast romantischer Rebell, ein Pfunds-Kobold eben.

Tina Angerer

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